Orbans Triumph
Bis zum Schluss hatte der ungarische Regierungschef Viktor Orban seine Anhänger fast panisch vor zu viel Siegesgewissheit gewarnt. Doch dann erwiesen sich alle Befürchtungen, Orban könne, wie 2002, eine bereits sicher geglaubte Wahl verlieren, als unbegründet. Seine Allianz aus Fidesz (Bund Junger Demokraten) und der angeschlossenen kleinen Christdemokratischen Volkspartei (KDNP) erhielt bei den Parlamentswahlen vom Sonntag eine klare absolute Mehrheit und kann in den kommenden vier Jahren allein weiterregieren. Dagegen erlitt die sozial-liberale Opposition des Fünf-Parteien-Bündnisses „Regierungswechsels“ eine herbe Schlappe.
Möglicherweise kommen Orban und seine Allianz im Parlament sogar wieder auf zwei Drittel, allerdings hängen die an einem einzigen Mandat in einem Budapester Wahlbezirk. Dort hat der Kandidat der Regierungspartei bisher nur wenig Vorsprung, in der Endauszählung müssen die Stimmen von Auswärtswählern berücksichtigt werden, eventuell wird sogar neu ausgezählt.
Zwar musste Orbans Allianz Fidesz-KDNP einen deutlichen nominellen Stimmenverlust hinnehmen. Bei der Listenwahl erhielt die bisherige Regierungsmehrheit nur noch 44 Prozent, 2010 waren es noch 52 Prozent gewesen. Doch kompensiert wurde das durch ein neues Wahlgesetz, in dem Elemente des Mehrheitsprinzips dominieren. Deshalb sieht Ungarns politische Landkarte erneut nahezu vollständig orange aus – die Farbe von Orbans Allianz Fidesz-KDNP. Nur in Budapest und in einer Stadt im Süden Ungarns gibt es kleine rote Flecken – dort, wo sozialistisch-liberale Oppositionskandidaten gewannen.
„An der Schwelle einer neuen, großartigen Epoche“
Obwohl die Zwei-Drittel-Mehrheit noch nicht feststeht, feierte Orban seinen Wahlsieg am späten Sonntagabend vor jubelnden Anhängern bereits als „bahnbrechenden, durchschlagenden Erfolg, dessen Bedeutung wir heute noch gar nicht ermessen können“. Ungarn stehe „an der Schwelle einer neuen, großartigen Epoche“, sagte Orban. Die Wähler hätten mit ihrem Votum zum Ausdruck gebracht, dass alle Debatten um die Politik seiner Regierungsmehrheit nunmehr als beendet zu betrachten seien, zusammen wolle man Ungarn „wieder groß machen“. Orban kündigte indirekt zugleich an, dass er seinen Konfrontationskurs gegenüber der EU fortsetzen werde: Mit ihrem Votum hätten die Wähler erklärt, so der Regierungschef, dass Ungarns Platz in Europa sei, „aber nur dann, wenn es eine starke nationale Regierung“ habe.
Vor allem dank solcher Rhetorik sei Orban erfolgreich gewesen, sagt der Soziologe Pal Tamas. „Er hat die kulturell adäquate Politikerform und die Sprache gefunden, die auf den durchschnittlichen Wähler außerhalb Budapests wirkt“, so Tamas. „Beispielsweise erscheint es in der ungarischen Provinz ausgesprochen sympathisch, dass Orban im Westen keinen guten Ruf hat.“
Einig sind sich die meisten Wahlforscher darin, dass es in Ungarn „eindeutig keine Stimmung für einen Regierungswechsel“ gegeben habe, wie es der Politologe Agoston Mraz im ungarischen Staatsfernsehen M1 ausdrückte. Das dürfte auch daran liegen, dass Orban und seine Regierung von ihrem drastischen wirtschaftlichen Sparkurs abgekommen sind und beispielsweise mehrmals Preissenkungen für Strom, Gas, Wasser und kommunale Dienstleistungen anordneten.
Die Rechtsextreme legt zu
Die sozialliberale Opposition dagegen sieht Orbans „antidemokratische Politik“ als Ursache des Fidesz-KDNP-Durchmarsches wie auch als Grund für ihre Niederlage. Der sozialistische Spitzenkandidat Attila Mesterhazy sagte, Ungarn sei keine Demokratie und kein Rechtsstaat, und nur ein unfaires Wahlgesetz und Manipulationen der gleichgeschalteten Medien hätten Orban zum Wahlsieg verholfen. Lediglich der liberale Politiker und Ex-Premier Gordon Bajnai gestand selbstkritisch ein, dass das „Regierungswechsel“-Bündnis offenbar kein „attraktives Angebot“ für die meisten Wähler gewesen sei.
Deutlich zulegen konnten dagegen die Rechtsextremen der Partei Jobbik (Die Besseren). Sie erhielten 21 Prozent und damit vier Prozent mehr als 2010. Die meisten Beobachter warnen jedoch davor, die Mehrheit der Jobbik-Wähler als Rechtsextreme zu sehen. Es gehe eher um Protestwähler, die sich weder bei Orban noch bei der sozialliberalen Opposition wiederfänden, sagt der Politologe Attila Tibor Nagy vom Budapester Meltanyossag-Institut. Allerdings, so Nagy, stehe fest, dass Jobbik sich in Ungarn als mittlere Partei stabil etabliert habe.
Weitere vier Jahre Orban, gestärkte Rechtsextreme und eine sehr schwache demokratische Opposition – das sei ein trauriges Ergebnis der ungarischen Wahlen, sagt der Publizist Attila Ara-Kovacs und fügt hinzu: „Für Europa ist das in jedem Fall eine schlechte Nachricht.“