Ungarn

„Nichts ändert sich“ / zur Wahl in Ungarn

ostpol: Herr Pinter, Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei ist der Wahlsieg am kommenden Sonntag so gut wie sicher. Wie erklären sie sich das?

Die ungarische Demokratie ist sehr schwach. Die Opposition ist tief gespalten, unglaubwürdig und in einem katastrophalen Zustand. Die Unzufriedenheit mit dem Fidesz kann noch so groß sein, es gibt keine wählbaren Alternativen. Das ist ein großes Problem und es ist zu befürchten, dass sich nichts ändert und alles so bleibt wie es ist.

Wie steht es um die Kunstfreiheit in Ungarn heute?

Mit der Freiheit gibt es kein Problem. Alle Künstler sind frei, jeder schreibt und bringt auf die Bühne, was er will. Nur mit der Finanzierung gibt es Schwierigkeiten. Mittel werden zugesagt, aber dann nicht ausgezahlt. Einfach so. Weil die Regierung es kann. Irgendwann bekommt man das Geld, aber dann eben auch mal ein Jahr später. Man muss Schulden aufnehmen oder kann gar nicht spielen. Viele mussten wegen solcher Schikanen den Spielbetrieb einstellen.

In Ihrem aktuellen Stück thematisieren sie die Tätigkeiten von Stasi-Spitzeln im Ungarn der 80er Jahre. Wie steht es heute um die Aufarbeitung dieses Themas in Ungarn?

Bisher wurde nur ein sehr kleiner Teil der Stasi-Unterlagen veröffentlicht. In Deutschland wurde meines Wissens viel transparenter vorgegangen, alle Akten und Dokumente sind einsehbar. Das ist in Ungarn nie passiert. Wir wissen immer noch nicht, wer früher Spitzel war.

Woran liegt das?

Weder die ungarische Linke, als sie an der Macht war, noch die aktuelle rechte Regierung haben diese Listen veröffentlicht. Wahrscheinlich weil beide Seiten etwas zu verheimlichen haben. Es ist also eine ungeklärte Situation in unserer Gesellschaft. Deshalb interessiert mich das Thema.

Sie sprechen diese Situation in Ihrem Stück sehr direkt an und stellen heutige Regierungsmitglieder als ehemalige Mitläufer oder aktive Spitzel dar...

Ja, es ist allgemein bekannt, dass in der aktuellen Regierung viele ehemalige Mitglieder und sogar Sekretäre der Kommunistischen Partei sitzen. Ich will natürlich nicht die Politiker der heutigen Sozialisten entlasten, die waren ja schließlich fast alle KP-Mitglieder. Aber auch in den Reihen des Fidesz gibt es viele.

Auch die Kulturpolitik der Orban-Regierung kritisieren Sie unverblümt. Waren Sie schon immer so direkt?

Nein. Natürlich habe ich schon immer meine Meinung zu aktuellen politischen Entwicklungen in unseren Stücken kundgetan, aber ich habe nicht so spitz formuliert wie heute. Das aktuelle Kulturverständnis der Regierung geißelt uns sehr hart. Ich hätte es vor mir selbst als Feigheit empfunden, wenn ich nicht darauf reagiert hätte.

Wie waren die Reaktionen auf Ihr Stück?

Positiv. Ich bin stolz darauf, dass unser Publikum sich aus beiden politischen Lagern in der Gesellschaft zusammensetzt. Egal ob links oder rechts, die Menschen schätzen unser Theater, unsere Botschaften kommen an. Sehen Sie, auch innerhalb der Rechten gibt es ernsthaften Streit darüber, warum man die Stasi-Akten nicht veröffentlicht. Jeder vernünftige Mensch erkennt diese Probleme.

Trotzdem inszeniert sich Orban als Antikommunist und erreicht mit seiner nationalistischen Ideologie viele Wähler. Auch die rechtsextreme Jobbik ist mittlerweile hoffähig. Wie erklären sie sich das?

Ungarn ist ein kleines Land in frustrierter seelischer Verfassung. Während der Sowjetherrschaft gab es einen Entwicklungsstopp, sowohl wirtschaftlich als auch mental. Nach dem Systemwechsel 1989 ist der von vielen erhoffte Sprung – raus aus diesem Elend, rein in den Wohlstand – nicht passiert. Deshalb gibt es diese verbitterte Frustration und diesen fruchtbaren Boden für rechtsextreme Parteien. Ich kann mit Orbans Nationalismus und seinem ganzen Gerede über die „guten ungarischen Menschen“ nichts anfangen. Aber Populismus und Demagogie funktionieren und sind bei uns heute lebensfähig. Das ist eine sehr traurige Situation.

Viele Ihrer Mitbürger haben in den letzten Jahren das Land verlassen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ungarn den Rücken zu kehren?

Nein, ich bleibe auf jeden Fall. Ich schreibe auf Ungarisch, über ungarische Themen, das ist meine Heimat, das ist meine Welt.


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