Ukraine

Selbsthilfe mit Streichhölzern

So richtig kenne sie Rumänien gar nicht, jenseits des Grenzgebiets sei sie noch nie gereist, sagt Florita. Die 48-jährige Frau mit den blauen Augen macht in ihrem Notizbuch Inventur: Vier Flaschen Sonnenblumenöl à zehn Liter, drei Tüten mit jeweils 15 Kilo Zucker, fünf Packungen Kugelschreiber, in blau, rot und schwarz. Nudeln, Toilettenpapier, Rosinen, Rattengift, Plastiksäcke. Und Kürbiskerne zum Knabbern. Von denen ist nicht viel übrig, die verkaufen sich gut.


Dieser Text ist dem ostpol mag "Osterweiterung. Zehn Jahre in der EU" entnommen. Sie können das Themenheft hier bestellen.


Was die Kunden dieses Mal nicht gekauft haben, will Florita in der nächsten Woche an der rauen Theke aus Holzbrettern anbieten. Sie notiert alles sorgfältig auf Rumänisch – aber mit kyrillischen Buchstaben. Auf dem Wochenmarkt im rumänischen Grenzstädtchen Vicov hat sie ihre Stammkundschaft, und sie ist, ähnlich wie die anderen Ukrainerinnen, sehr beliebt.

Geboren ist Florita in Storoschynez, einer Kleinstadt in der Ukraine, rund 20 Kilometer nördlich der Grenze zu Rumänien, wo sie bis heute lebt. Die Gegend heißt Bukowina und gehörte bis 1940, als die Rote Armee die Region nach dem Hitler-Stalin-Pakt besetzte, zu Rumänien. Zu Hause spricht Florita immer noch Rumänisch, „wie die Großeltern halt“. Der Großvater war vor den Sowjets nach Rumänien geflohen. Als Floritas Großmutter mit Pferdewagen und Kindern nachkam, war es zu spät: Die sowjetischen Soldaten hatten kurz vor Vicov die neue Grenze bereits gesperrt. Der Großvater baute sich in Rumänien ein neues Leben auf, die Großmutter blieb in der Ukraine.


Der Vater ist pflegebedürftig, der Sohn arbeitslos

Jetzt steht Florita auf dem Schwarzmarkt auf der rumänischen Seite in der Morgenkälte und schlürft Kaffee aus einem Plastikbecher. Eigentlich ist sie Friseurin, doch der Salon in ihrer Heimatstadt zahlt nur unregelmäßig Gehalt. „Früher gab es Fabriken in Storoschynez, für Milchprodukte, für Konserven. Heute gibt es nichts mehr. Die Leute lassen sich in der Familie die Haare schneiden, deswegen sehen sie so ungepflegt aus“, stellt sie fest und verzieht dabei das Gesicht. Floritas erwachsener Sohn und ihre Schwiegertochter sind arbeitslos. Sie verdient das Geld für die beiden und deren Kinder. Ebenso für ihren alten Vater, der vor kurzem pflegebedürftig geworden ist.

Weil Kunden und Lohnzahlungen auf sich warten lassen, kann Florita im Friseursalon kommen und gehen, wann sie will. Mittwochs fährt sie in die Gebietshauptstadt Tscherniwzi, das einst multikulturelle Czernowitz. Dort kauft sie die Produkte, die sie am Wochenende ihren Kunden auf der rumänischen Seite anbietet. Jeden Freitag um vier Uhr früh steigt sie zusammen mit fünf anderen Frauen in einen Kleinbus.

Vor dem EU-Beitritt Rumäniens war es kein Problem, über die Grenze zu kommen. Doch seit 2007 muss Rumänien die Grenze zur Ukraine besser absichern. Weil das Geld fehlte, wurde der alte Übergang geschlossen, Florita und ihre Kolleginnen müssen jetzt einen Umweg von 100 Kilometern fahren. Ihr Mann, der früher auf der ukrainischen Seite Pässe kontrollierte, ist seitdem arbeitslos.


Sie will in Ruhe gelassen werden

Auch die Kontrollen werden von Jahr zu Jahr strenger, denn die Regierung in Bukarest hat dem Schmuggel und der sogenannten „kleinen Steuerhinterziehung“ auf den Märkten den Kampf angesagt. Rumänien will Teil des grenzenlosen Schengen-Raumes werden, die Auflagen dafür erfüllt es bereits.

Für Florita bedeuten die Kontrollen Erhöhungen der Schmiergelder, damit sie ihre Waren trotzdem über die Grenze bringen kann. Mittlerweile hat sie zum Glück wegen ihrer Abstammung einen rumänischen Pass bekommen. Mit ihrem ukrainischen Pass müsste Florita wie viele andere im rumänischen Konsulat in Czernowitz auf ein Visum warten, das ihr sofort wegen „kleiner Steuerhinterziehung“ entzogen werden könnte. Bei den Rumänen dagegen schauen die Beamten in der Regel nur oberflächlich ins Gepäck.

Florita fühlt sich weder Rumänien noch der Ukraine zugehörig. Sie möchte, wie sie sagt, einfach in Ruhe gelassen werden und sich unbehelligt etwas dazu verdienen. Rund 150 Euro verdient sie an einem Wochenende, das ist ungefähr so viel wie ihr Monatslohn, wenn der Friseurladen zahlt. Die Dorfbewohnerinnen im rumänischen Vicov sehen das genauso. Für sie sind Zucker und Streichhölzer aus der Ukraine eine günstige Alternative zu den meist doppelt so teuren Produkten im Supermarkt, die Rumänien fast alle aus dem Westen importiert.


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