Ukraine

„Die Russen sind in Rufbereitschaft“

Es ist noch früh an diesem Wahlsonntag, aber Sergei Aksjonow ist bereits hellwach. „Dieses Referendum ist unwiderruflich“, erklärt der international nicht anerkannte Premier der Autonomen Republik Krim nach seiner Stimmabgabe am Morgen – und nimmt das Ergebnis gleich vorweg: „Die Krim wird ein Teil Russlands sein.“ Erläuternd fügt er hinzu: „Alles verläuft so, wie das Volk es will.“

Richtiger müsste es heißen: „Wie der Kreml es will“. Denn Aksjonow, der sich Ende Februar in Simferopol an die Macht geputscht hat, handelt auf Weisung aus Moskau. Am Sonntag leitet seine Regierung mit einer höchst umstrittenen Volksbefragung die Loslösung der Schwarzmeer-Halbinsel von der Ukraine und den Anschluss an Russland ein – einen Gewaltakt, den das Referendum nach außen abschirmen und legitimieren soll. 

Was in diesen Tagen auf der Krim wirklich geschieht, ist am besten bei der Anreise zu sehen. Auf den Zufahrtswegen zur Halbinsel hat Militär die Herrschaft übernommen. Die Krim ist vom ukrainischen Festland mit Auto und Zug nur über die schmale Landenge von Perekop und weiter östlich über einen Damm bei Chonhar zu erreichen. An diesen strategischen Schnittstellen exekutieren russische Soldaten und prorussische Paramilitärs die Annexion ukrainischen Staatsgebietes. Mit Panzerwagen haben sie Straßensperren errichtet. In den Zügen kontrollieren bewaffnete Bürgerwehren die Reisenden. Der Luftraum ist nur für Flüge von und nach Moskau geöffnet.

Es gehe darum, „ukrainische Faschisten und Terroristen daran zu hindern, in unser Land einzudringen“, erklärt am Bahnhof von Simferopol einer der muskelbepackten Männer, die dort derzeit das Sagen haben. Er trägt eine Tarnhose, Armeestiefel, eine Bomberjacke und eine Armbinde in den russischen Nationalfarben Weiß, Blau und Rot. In Wirklichkeit ist von ukrainischen Gewalttätern auf der Krim bislang weit und breit nichts zu sehen. Die umstrittene Volksabstimmung über die politische Zukunft der Halbinsel läuft am Sonntag ohne Zwischenfälle an.

„Ich habe nur ein einziges großes Kreuz gemacht und alles durchgestrichen“

Wie sollte es auch anders sein? Vor den Wahllokalen in Simferopol patrouillieren zwar keine Soldaten. Aber im Stadtgebiet sind die Sicherheitskräfte fast allgegenwärtig. Verkehrspolizisten kontrollieren im Beisein von schwer bewaffneten, vermummten Soldaten alle Autos, die ihnen aus irgendeinem Grund verdächtig erscheinen. Aus Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, berichten moskautreue Medien, dass „die Abstimmung von Sicherheitskräften in Brigadestärke bestens bewacht wird“.

Auch in Simferopol seien „die Russen jederzeit in Rufbereitschaft“, sagt eine etwa 50-jährige Frau, die schon am verregneten Morgen zur Abstimmung gegangen ist. Sie will ihren Namen nicht nennen, gibt sich aber als Lehrerin einer ukrainischen Schule zu erkennen. „Ich habe nur ein einziges großes Kreuz gemacht und alles durchgestrichen“, erklärt sie mit Galgenhumor. Der Andrang in ihrem Wahllokal ist bescheiden, wie andernorts in Simferopol auch. Dennoch vermeldet Aksjonow am Mittag, die Hälfte der Krim-Bewohner habe bereits abgestimmt. Eine unabhängige Prüfung der Zahlen wie auch des Endergebnisses gibt es nicht.

Echte Entscheidungsgewalt haben die rund 1,8 Millionen stimmberechtigten Krimbewohner ohnehin nicht. Zwei Fragen stehen zur Wahl: „Sind Sie für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland?“ oder „Sind Sie für eine Wiederherstellung der Krim-Verfassung von 1992 und einen Status der Krim als Teil der Ukraine?“ Der Trick liegt im Verweis auf die Rechtslage von 1992. Die damalige Übergangsverfassung sah die faktische Unabhängigkeit der Autonomen Republik vor. Damit hätte auch im zweiten Fall die moskautreue Regierung von Krim-Premier Aksjonow weiter das Sagen – unabhängig von Parlament und Behörden in Kiew. „Plan B“ wird jedoch kaum eintreten. Prognosen, die Aksjonows PR-Strategen in Simferopol am Nachmittag verbreiten, sagen eine klare Mehrheit für den Anschluss an Russland voraus.

Neutrale internationale Experten sind sich dagegen einig, dass das Krim-Referendum ebenso völkerrechtswidrig ist wie die faktische Besetzung der Halbinsel durch russische Soldaten. So sieht es unter anderem die zuständige Venedig-Kommission des Europarates, dem auch Russland und die Ukraine angehören. Die Umstände der Abstimmung entsprächen nicht demokratischen Standards, urteilte das Gremium.

„Wir müssen eine friedliche Lösung finden“

Es gehört deshalb nicht viel Fantasie dazu, eine weitere Eskalation der Krim-Krise zu prophezeien. Die EU und die USA drohen Russland seit Tagen mit verschärften Sanktionen, sollte der Kreml die Annexion der Krim vollziehen. Schon an diesem Montag kommen in Brüssel die EU-Außenminister zusammen, um Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen die politische und wirtschaftliche Elite in Moskau zu beschließen. Die Interimsregierung in Kiew beharrt darauf, dass „die territoriale Einheit des ukrainischen Staatsgebietes gewahrt bleiben muss“, wie Übergangspräsident Oleksandr Turtschinow erklärt.

Auf den Einsatz militärischer Gewalt will die Führung in Kiew zwar vorerst verzichten. „Wir müssen eine friedliche Lösung finden“, sagt Turtschinow. Am Sonntag verkündet seine Regierung überraschend eine Waffenruhe mit dem russischen Militär auf der Krim. Das heißt vor allem, dass die ukrainischen Stützpunkte dort vorerst unbehelligt arbeiten können. Die Lage bleibt dennoch „brandgefährlich“, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sich am Wochenende ausdrückt. So wirft das Kiewer Außenministerium Moskau vor, eine rund 80 Mann starke russische Militäreinheit habe am Samstag eine Landzunge nordöstlich der Krim besetzt und ein Gaskraftwerk in Besitz genommen.

„Wir werden eine Invasion mit allen Mitteln stoppen“, lässt die ukrainische Regierung trotz Waffenruhe wissen. Sie erklärt dies vor allem mit Blick auf die immer explosivere Lage in den ostukrainischen Industriemetropolen Charkiw und Donezk. Seit Tagen liefern sich dort prorussische und regierungstreue Demonstranten gewaltsame Auseinandersetzungen. Drei Menschen starben bereits bei Messerstechereien oder durch Schüsse. Am Sonntag teilt die Übergangsregierung in Kiew mit, sie habe die Grenze zu Russland in weiten Teilen abgeriegelt, um „Provokateure zu stoppen“. 

Das Außenministerium in Moskau seinerseits weist immer wieder darauf hin, dass man „Russen und russischstämmige Bürger in der Ukraine schützen“ werde. Präsident Wladimir Putin ist mit allen rechtlichen Vollmachten ausgestattet, um eine Militäraktion in der Region zu starten. Die russische Armee hat dort nach unterschiedlichen Angaben bis zu 80.000 Soldaten und mehrere Hundert Panzer einsatzbereit.


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