Nach den Panzern rollt der Rubel
Der Busfahrer verlangt zwei Rubel und 75 Kopeken für den Weg ins Zentrum. Ein Passagier ist verwirrt und fragt, ob man ihm „einen alten Schein angedreht“ habe. Er hält fünf ukrainische Griwna in der Hand. Doch der Fahrer hat sich nur einen hintersinnigen Scherz erlaubt. Er nimmt die Griwna, denn an am Montagmorgen nach dem Russland-Referendum rollt der Rubel auf der Krim noch nicht. Doch das wird sich schnell ändern.
In der Gebietshauptstadt Simferopol herrschte am Montag ein kleiner Ausnahmezustand. Noch immer patrouillierten russische Soldaten in der Stadt. Die Flüge nach Kiew blieben gestrichen. Vor allem aber hatten die Banken geschlossen. Der international nicht anerkannte Krim-Premier Sergei Aksjonow hatte angekündigt, noch in dieser Woche den Rubel als Parallelwährung auf der Schwarzmeer-Halbinsel einzuführen – und das willfährige Parlament schuf sogleich Fakten und fasste noch am Montag einen entsprechenden Beschluss.
Der moskautreue Regierungschef hatte offenkundig einen klaren Plan, wie die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erfolgen soll, und er treibt ihn im Eiltempo voran. Wichtigster Schritt nach seinem Putsch Ende Februar und der De-facto-Besetzung durch russische Truppen war das Referendum am Sonntag. Nach amtlichen Angaben stimmten knapp 97 Prozent der Wähler für eine „Wiedervereinigung der Krim mit Russland“. Das Krim-Parlament akzeptierte und erklärt offiziell die Unabhängigkeit der Republik. Aksjonows Regierung stellte ein Beitrittsgesuch zur Russischen Föderation, bevor der Premier nach Moskau aufbrach.
„Recht der Menschen auf der Krim auf Selbstbestimmung“
Dort liefen die Vorbereitungen für den Anschluss der Halbinsel ebenfalls auf Hochtouren. Präsident Wladimir Putin verteidigte das „Recht der Menschen auf der Krim auf Selbstbestimmung“. Am Dienstag hielt er in der Duma eine Grundsatzrede und unterschrieb den Vertrag zur Angliederung der Krim. Schon am Montag gab das Außenministerium die Stoßrichtung vor. Die Ukraine müsse künftig ein blockfreies Land mit föderalen Strukturen werden, Russisch als gleichberechtigte Amtssprache anerkennen und auf die Krim verzichten.
Kritische Stimmen verhallen sowohl in Moskau als auch in Simferopol. Dort bezeichnet eine Sprecherin der krimtatarischen Volksgruppe das Referendum noch in der Nacht als „Komödie“. Tatsache ist: Die Tataren und viele Ukrainer, die zusammen fast 40 Prozent der Krim-Bevölkerung ausmachen, hatten einen Boykott des Referendums angekündigt. Dennoch nennt die zentrale Wahlleitung eine Beteiligung von 82,7 Prozent. Da die Stimmauszählung ohne unabhängige Kontrolle blieb, steht der Verdacht im Raum, dass die Ergebnisse zumindest geschönt sind.
In Simferopol traten diese Fragen allerdings schnell hinter den befürchteten Problemen des Alltagslebens zurück. Die Krim bezieht ihre Energie und ihr Trinkwasser zu großen Teilen vom ukrainischen Festland. „Sie werden versuchen, uns auszuhungern“, mutmaßt auf dem Lenin-Platz ein russischstämmiger Rentner. In der Nacht zum Montag hatten dort Tausende Menschen den Ausgang des Referendums mit Live-Musik, einem Autokorso und Hupkonzerten gefeiert. Sechs von zehn Krim-Bewohnern haben russische Wurzeln. Viele von ihnen haben das ehrliche Gefühl, nun „nach Hause zu kommen“, wie die Kreml-Propaganda es verkündet.
Codename: „Russischer Frühling“
Es gibt kaum einen Zweifel daran, dass Russlands Präsident Putin seine neuen alten Landsleute mit reichen Geschenken willkommen heißen wird. Moskau sei bereit, ein gewaltiges Modernisierungsprogramm für die Krim aufzulegen, berichten russische Medien. Sollte die Ukraine den Gas- und den Wasserhahn zudrehen, werde der Kreml schnell „Notmaßnahmen“ einleiten. Worum genau es sich dabei handeln könnte, bleibt offen.
Doch es bleibt viel Raum für Spekulationen, Putin werde seine Armee im Süden oder Osten der Ukraine strategische Schlüsselstellungen besetzen lassen. Bereits am Wochenende hatten rund 80 russische Soldaten ein Gas-Umleitwerk nordöstlich der Krim eingenommen und war damit auf scharfe Reaktionen in Kiew und westlichen Hauptstädten gestoßen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach den Fall direkt in einem Telefonat mit Putin an und verurteilte das Vorgehen.
Dabei schwingt die Furcht mit, die Lage könnte militärisch weiter eskalieren. Vor allem die andauernden Unruhen in den ostukrainischen Industriezentren Charkiw, Donezk und Dnipropetrowsk treibt vielen Politikern im Westen, vor allem aber den Verantwortlichen in Kiew Sorgenfalten auf die Stirn. Die ukrainische Interimsregierung beschließt am Montag die Teilmobilmachung der Streitkräfte. Unter dem Codenamen „Russischer Frühling“ plane der Kreml eine groß angelegte Operation separatistischer Provokateure in der Region, erklärt der Chef des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, Andri Parubi. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht.