Kampf um die Ostukraine
„Russland, Russland“, rufen die Demonstranten, die auf der Artema Straße im Zentrum von Donezk marschieren. Sie halten Plakate mit dem kubanischen Revolutionär Ernesto Che Guevara in die Luft und schwenken das Banner der Kommunistischen Partei.
Die meisten Einwohner der Donezk-Region lehnen die Übergangsregierung in Kiew ab. Militante Verbände wie die Volkswehr Donbass stürmen Regierungsgebäude und verlangen wie auf der Krim ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region. Mit Hilfe von Oligarchen will Kiew die Kontrolle über die Ostukraine behalten.
Vor dem mächtigen Lenindenkmal macht Alexander Wassiliew seinem Zorn über die neue Regierung Luft. Diese sei durch „dieselben Methoden an die Macht gekommen, wie damals die Faschisten in Deutschland“, schimpft er. Er halte Präsident Janukowitsch noch immer für das rechtmäßige Staatsoberhaupt der Ukraine. Die Pro-Europa-Bewegung lehnt der 26-Jährige entschieden ab: „Mit der EU werden ukrainische Produkte billiger und Gaspreise teurer, das führt zum Kollaps.“
Wassiliew ist Mitglied der Volkswehr Donbass, einer militanten Bewegung, die den Anschluss der Ostukraine an Russland fordert. Wassiliew trägt eine Militäruniform, in seinem Gürtel steckt ein Funkgerät. Am linken Arm trägt er das Georgsband, ein in Russland verbreitetes Symbol der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. „Wir verlangen ein Referendum und wollen selbst über unsere Zukunft entscheiden“, sagt der Mann mit dem Kurzhaarschnitt.
„Die Leute hinterfragen solche Informationen nicht“
Am 1. März stürmte die Volkswehr Donbass die Regionalverwaltung in Donezk, wo die Vertreter der Kiewer Zentralregierung sitzen. Aktivisten hissten auf dem Dach des Gebäudes die russische Flagge und ernannten ihren Anführer Pawel Gubarew zum „Volksgouverneur“. Nach vier Tagen eroberte die Staatsmacht den Betonklotz zurück und ließ Gubarew verhaften. „Er ist für mich ein Held“, sagt Aktivist Wassiliew. Aus Wut auf die Regierung stürmte die Volkswehr am Sonntag das Gebäude der Staatsanwaltschaft in Donezk.
„Viele pro-russische Aktivisten werden durch einseitige Medien beeinflusst“, meint Katja Smirnowa, Studentin aus Donezk. Im Lokalfernsehen dominieren russische Sender wie der Erste Kanal, RTR und NTW. Lokalzeitungen wie „Segodnja“ berichteten jahrelang negativ über die EU. „Die Leute hinterfragen solche Informationen nicht“, sagt die 30 Jahre alte Frau mit den halblangen blonden Haaren. Smirnowa organisierte vergangene Woche eine Demonstration für die Einheit der Ukraine.
Bei der Kundgebung brachen Krawalle aus, ein Demonstrant starb. „Provokateure zettelten die Schlägerei an“, ergänzt Aktivist Oleksandr Michailenko, „um in der Region Unruhe zu stiften“. Unter dem Vorwand, russische Bürger zu schützen, wolle Russland auch in die Ostukraine einrücken, fürchtet der 35-Jährige.
Donezk - Schauplatz blutiger
Machtkämpfe unter aufstrebenden Oligarchen
Doch Kiew kann es sich nicht leisten, die Industrieregion zu verlieren. Im Donbass siedeln riesige Bergbau- und Stahlbetriebe, die für die Exportwirtschaft des Landes unverzichtbar sind. In Donezk ansässige Großkonzerne wie Metinvest und DTEK treiben die Volkswirtschaft der Ukraine an. „Im Donbass wird ein Großteil der Staatseinnahmen erarbeitet“, erklärt Jewgeni Semechin, Leiter der Partei Demokratische Allianz in Donezk. „Das Geld wollen die Donezker nur ungern an Kiew abgeben“, sagt er weiter. Deshalb fiel es der Zentralregierung schon immer schwer, die Bergbauregion zu kontrollieren.
In den Neunzigern war Donezk Schauplatz blutiger Machtkämpfe unter aufstrebenden Oligarchen. Am Flughafen erschossen Auftragskiller mit Maschinengewehren den Geschäftsmann und Politiker Jewgeni Scherban, einen Konkurrenten von Viktor Janukowitsch.
Auf der zentralen Artema Straße entging Oligarch Rinat Achmetow nur knapp einem Anschlag mit einem Raketenwerfer. Nachdem eine Bombe im Stadion von Donezk die Geschäftspartner von Achmetow in den Tod riss, stieg der Oligarch zum Herrscher über den Donbass auf. „Er kontrolliert die gesamte Region“, sagt Semechin von der Demokratischen Allianz.
Die neue Regierung in Kiew will mit den Oligarchen die Kontrolle über die Donezk-Region behalten. Sie ernannte Anfang März den Eigentümer der Industrieunion Donbass, Sergej Taruta, zum Gebietsgouverneur. Taruta unterstützte früher die pro-westliche Regierung unter Wiktor Juschtschenko.
Oligarch Achmetow zieht im Hintergrund weiter die Fäden und ruft zur Einheit des Landes auf. Die Bergbaubosse sehen in Putin eine Gefahr, „weil sie fürchten, unter die Fuchtel des Kreml zu geraten und ihre Geschäfte zu verlieren“, erklärt Aktivist Semechin.