„Krim – wir halten zu dir“
Wowa aus Sewastopol versteht die Welt nicht mehr. Vor zehn Tagen ist er nach Kiew gereist, auf den Unabhängigkeitsplatz, um zu sehen, was in der Hauptstadt passiert. Jetzt sitzt der hagere Mann in einem Zelt mit fünf anderen Mitstreitern von der Krim. „Die Leute dort sind desinformiert“, ist er überzeugt. Auch seine Frau wolle nicht mehr mit ihm telefonieren. „Sie nennt mich einen Verräter und hat Angst, unseren Freunden zu sagen, wo ich stecke.“ Wowa, der aus einer ukrainischen Familie stammt, teilt nicht die vorherrschende Meinung auf der Halbinsel. Den Einmarsch russischer Truppen findet er „schrecklich“. Auch für eine Unabhängigkeit kann er sich nicht begeistern. Das würde doch Familien zerreißen, sagt Wowa und schaut besorgt. Womöglich denkt er dabei an seine eigene.
„Krim – wir halten zu dir“, steht auf einem Plakat auf dem Kiewer Maidan geschrieben, und „Putin – Hände weg von der Ukraine“. „Was das Land eint“, titelt die Tageszeitung „Segodnia“. Das Blatt von Rinat Achmetow, dem einstigen Finanzier von Expräsident Viktor Janukowitsch, wirbt für ein friedliches Zusammenleben. 800 Kilometer weiter südlich erklärte der neue, prorussische Krim-Premier Sergej Aksjonow, in einer unabhängigen Krim auf Moskauer Zeit umstellen zu wollen. Damit wäre man der Ukraine im Winter sogar zwei Stunden voraus.
„Wir wollen nicht gegen Russland kämpfen.“
Es sind schwierige Tage für die neue Regierung der Ukraine. Internationale Verhandlungen sollen die Lage nun beruhigen. Die Kiewer Regierung bekräftigte am Mittwoch, den „Konflikt friedlich beilegen“ zu wollen, wie Außenminister Andrej Deschtschyzja in Paris nach einem Treffen mit Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte. „Wir wollen nicht gegen Russland kämpfen.“ Es sollten ein „guter Dialog und gute Beziehungen mit dem russischen Volk“ aufrechterhalten werden. In Paris trafen sich der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein US-amerikanischer Amtskollege John Kerry gemeinsam mit den EU-Außenministern zu Beratungen über die Krim-Krise. Aus Diplomatenkreisen hieß es, man bemühe sich um ein Treffen zwischen Lawrow und Deschtschyzja.
Zurück an den Verhandlungstisch ist nach der Eskalation der vergangenen Tage die Devise. Die Ukraine will keinen Krieg, nicht zuletzt weil sie dem russischen Nachbarn militärisch unterlegen ist. Aber auch Moskau belässt es vorerst lieber bei Drohungen. So wird zwar die „Heimholung“ der Krim von vielen als historisch richtig empfunden. Andererseits gibt es in der Bevölkerung zahlreiche verwandtschaftliche und freundschaftliche Verbindungen in die Ukraine. Ein Krieg gegen das vielbeschworene „Brudervolk“ erscheint absurd und falsch.
Die Lage vor Ort ist indes unverändert: Zwar wurden von ukrainischer Seite in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch weniger Zwischenfälle gemeldet. Russische Soldaten ohne Erkennungszeichen halten Einrichtungen des ukrainischen Militärs nach wie vor umstellt. Laut der Nachrichtenagentur „Interfax Ukraine“ besetzten Soldaten zwei ukrainische Raketenabwehreinheiten. „Wir warten nun auf das Eintreffen von russischen Raketenexperten und pro-russischen Aktivisten, die die ukrainischen Soldaten werden überzeugen müssen, gemeinsam die Pflichten zu erfüllen“, sagte ein russischer Militärvertreter.
Fact-finding Mission der OSZE soll Klarheit bringen
Der Aufforderung, die Besetzungen zu beenden, ist man bisher nicht nachgekommen. Lawrow erklärte in Paris, dies sei nicht möglich, da Russland über diese Einheiten gar keine Kontrolle ausübe. Die Soldaten seien „Selbstverteidigungseinheiten, gegründet von Bewohnern der Krim, wir geben ihnen keine Befehle, sie akzeptieren keine von uns“. Russland behauptet weiter steif und fest, bei den professionell ausgestatteten Bewaffneten handle es sich um örtliche Söldner. Es gäbe „absolut keine“ russische Soldaten auf der Krim, sagte Verteidigungsminister Sergej Schojgu.
Das ukrainische Verteidigungsministerium will demgegenüber herausgefunden haben, woher die Militärs stammen, die seit Tagen beharrlich schweigen. So soll etwa das in Tschetschenien stationierte Spezialbattalion „Wostok“ (Osten) auf der Krim vertreten sein. Die Einheit nahm am Tschetschenienkrieg und am Militäreinsatz 2008 in Südossetien teil. Auch Soldaten der 31. Luftsturmbridgade, stationiert in Uljanowsk, und Spezialeinheiten aus dem Krasnodarer Gebiet sollen sich auf ukrainischem Territorium befinden.
Klarheit soll nun eine Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bringen: Die OSZE schickte am gestrigen Mittwoch 35 unbewaffnete Militärbeobachter zum Fact-finding in die Ukraine. Auch deutsche Vertreter sind darunter. Die Beobachter werden bis zum 12. März vor Ort sein.