„Brudervölker“ vor bewaffneter Konfrontation
Auch der Metropolit von Simferopol ist gekommen. Kliment stellt sich vor die ukrainischen Rekruten, begrüßt sie und sagt mit ruhiger, herzlicher Stimme: „Alles wird gut. Gott ist mit Euch.“
Ob wirklich alles gut wird, ist an diesem Sonntag nicht so sicher. Russische Soldaten belagern seit dem Morgengrauen die ukrainische Militärbasis in Perewalne nahe Simferopol. Sie wollen die Soldaten im Inneren – die 36. Brigade – zum Aufgeben zwingen. Die ukrainische Armee soll die Waffen abgeben, ihre Schützenpanzer und sonstiges militärisches Gerät stehen lassen und verschwinden, so die Forderung.
Doch der Kommandant lehnt das ab. „Wir haben nicht vor, die Basis aufzugeben. Wir sind zu ihrer Verteidigung bereit“, sagt sein Stellvertreter Valeri Bojko, der für ein paar Minuten nach draußen geschlüpft ist. Er könne doch nicht einfach ukrainische Waffen irgendwelchen Bewaffneten überlassen, die sich hier doch gar nicht befinden dürften. Nein, das sei nicht möglich. Unter seinen Männern sind ethnische Russen. Auch sie wollen sich nicht ergeben.
In Perewalne ist von der vielbeschworenen Solidarität der „Brudervölker“ nichts mehr zu spüren. Hier stehen ukrainische Soldaten und russische Soldaten einander gegenüber, das Gewehr im Anschlag. Die Stimmung ist gespannt. Wenn hier ein Schuss fällt, dann bleibt es nicht bei einem. Es könnte der Auslöser für einen neuen Krieg um die Krim sein.
„Wir verteidigen unsere Jungs“
Vor den Toren der Militärbasis haben sich Unterstützer der Ukrainer eingefunden. Ein Mann liest tonlos aus der Bibel, ohne Pause, Frauen singen Kirchenlieder. Eine ältere Frau mit buntem Kopftuch steht seit Mittag vor dem Tor. „Wir stehen hier und beten“, sagt sie mit Tränen in den Augen. „Wir verteidigen unsere Jungs.“ Auch Anton, der im nahen Garnisonsstädtchen wohnt, ist gekommen. Der Journalistikstudent fotografiert, redet mit den Umstehenden. Er ist pessimistisch: „Mir scheint, dass die Ukraine die Krim verloren hat.“
Ein paar Meter weiter hinten stehen die Unterstützer der Gegenseite: Prorussische Demonstranten mit Fahnen. Einige von ihnen sollen hergeführt worden sein, andere wohnen ebenfalls im nahen Ort. Nachbarn stehen sich als Kontrahenten gegenüber, geteilter Meinung über die Zukunft der Krim.
Die russischen Soldaten belagern seit Sonntagmorgen die ukrainische Militärbasis in Perewalne. Der Ort ist knapp 25 Kilometer von Simferopol entfernt, in südöstlicher Richtung. Die Basis liegt in einem Kessel, umgeben von steinigen Hügelrücken. Sie kamen frühmorgens, um 5:10 Uhr, in zwei Dutzend Militärlastwägen. Es sind etwa 1.000 Mann ohne Erkennungszeichen, aber ihre Uniformen sind laut Beobachtern als russische erkennbar. Die Lastwägen tragen ebenfalls russische Nummernschilder.
In Verhandlungen hat man sich geeinigt, vorerst nicht zu schießen. Aber was soll weiter passieren? „Wir müssen einen Kompromiss finden“, sagt Bojko. Wie der aussieht, weiß derzeit niemand.
Die Lage ist unübersichtlich
Auf einer Pressekonferenz in Simferopol hatte der Vorsitzende des Krim-Parlaments, Wladimir Konstantinow, kurz zuvor noch von „demoralisierten ukrainischen Truppen“ gesprochen. Da demoralisierte Menschen mit der Waffen in der Hand gefährlich seien, habe man „die Kontrolle über sie übernommen“. Die Lage ist unübersichtlich. Einige Basen sollen sich ergeben habe. Die ukrainische Küstenwache hat ihre Schiffe von der Krim in die Nähe der Hafenstadt Odessa verlegt. Doch andere wie die Brigade in Perewalne lehnen eine Machtübergabe ab.
Konstantinow, ein ernster Mann in Schwarz, beschwört wie andere Mitglieder der neuen Führung ein Bedrohungsszenario: „Wir wurden von verschiedenen Extremisten bedroht“, sagt er. Einerseits sind die die Nationalisten in Kiew, die „auf die Krim kommen“ wollten. Und dann waren da die ominösen Bewaffneten, die aus dem Nichts kamen und öffentliche Gebäude und Flughäfen besetzten. Wer sie seien? Das wisse man nicht so genau. Die Destabilisierung in der Vorwoche hätte jedenfalls das Hilfsgesuch an Russland notwendig gemacht.
Der frisch gewählte prorussische Premier Sergej Aksjonow hatte am Mittwoch alle Sicherheitskräfte der Krim unter seine Kontrolle gestellt und sich an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gewandt. Der bedankte sich für die Einladung und kündigte am selben Tag einen Militäreinsatz an. Die unbekannten Bewaffneten verschwanden kurz darauf: Seit Samstagabend sind das Parlament und der Ministerrat wieder frei zugänglich, Barrikaden und Polizeiabsperrungen sind, ebenso wie die unbekannten Söldner, wie von Geisterhand verschwunden.
Die neuen Herren der zwei Millionen Einwohner zählenden Halbinsel scheinen ihr Etappenziel erreicht zu haben: „Niemand hier arbeitet mehr für Kiew“, stellt Konstantinow klar. Nach der politischen und militärischen Machtübernahme will man sich nun die nächste Etappe erreichen: Die Autonomie - ein Euphemismus für die De-Facto-Unabhängigkeit der Halbinsel - ausbauen. Ein Referendum über den Status der Krim soll am 30. März stattfinden. Dass Kiew diesen Schritt als illegitim betrachtet, kommentiert Konstantinow nur wie folgt: „Wir haben hier die Macht.“