„Uns muss Putin retten“
Die Soldaten, die am Freitagmorgen am Flughafen Simferopol patrouillieren, tragen keine Abzeichen. In grünen Camouflage-Uniformen, in schusssicheren Westen und mit Maschinenpistolen bewaffnet spazieren sie auf dem Areal umher und sorgen nach eigenen Angaben „für Ordnung“. Mehr ist von ihnen nicht zu erfahren. Wer hat sie geschickt? Warum? Welchen Sicherheitskräften gehören sie an? Keine Auskunft.
Bis zum Freitagnachmittag haben etwa hundert, offenbar prorussische Soldaten den internationalen Flughafen der Krim-Hauptstadt in ihrer Hand. Dann steigen sie nach Informationen der Flughafenauskunft wieder in ihre Lastwägen – und verschwinden.
Für die ukrainischen Behörden ist der Vorfall eine Provokation. Und er zeigt, dass die Kiewer Behörden nicht die Kontrolle über die Krim haben – jener autonome Republik am Schwarzen Meer, deren Bewohner mehrheitlich Russen sind und die die neue Regierung in Kiew nicht akzeptieren wollen. Die Ereignisse könnten die angespannte Lage auf der Halbinsel eskalieren lassen.
Einen „russischen Einmarsch“ nannte der ukrainische Innenminister Arsen Awakow den Vorfall am Flughafen in Simferopol. Die Angelegenheit werde im Nationalen Sicherheitsrat besprochen, so Awakow. Seit gestern leitet diesen Rat der Maidan-Kommandant Andrej Parubij. Der vermutet, dass Spezialeinheiten der russischen Schwarzmeerflotte hinter den Zwischenfällen der vergangenen Tage stünden. Auch der Militärflughafen der größten Stadt auf der Krim Sewastopol war besetzt worden, zehn russische Hubschrauber waren in den ukrainischen Luftraum auf der Krim eingedrungen. Nicht identifizierte Soldaten bauten Straßensperren vor Sewastopol auf und kontrollierten Autos.
„Uns muss Putin retten.“
Im Zentrum von Simferopol geht das Rätselraten weiter, wer hinter der Besetzung des Krim-Parlaments steckt. Die Bewaffneten, die am Donnerstag das Gebäude eingenommen haben, befinden sich offenbar noch immer dort. Überprüfen lässt sich das nicht: Nur Abgeordnete werden vorgelassen. Einer von ihnen, Sergej Tsekow, erklärte am Freitag, die Abgeordneten selbst hätten die Bewaffneten „eingeladen“. „Sie werden hierbleiben, solange wir es wünschen.“ Bei den Bewaffneten handle es sich um Bürger der Krim. Und um Selbstverteidigung.
Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Parlament scheinen angesichts der Präsenz mutmaßlicher „Terroristen“ lachhaft: Nur ein Kordon ganz normaler Milizionäre riegelt das Gebäude ab. Bei der Leitung der Simferopoler Polizei heißt es, man habe keine Informationen, wer die Besetzer seien. „Die öffentliche Ordnung ist aufrecht“, sagt die Sprecherin. Es sei zu keinen Diebstählen oder Überfällen gekommen.
„In Kiew ist der nationalistische Geist aus der Flasche geschlüpft“, sagt die 63-jährige Nadeschda Lapschina. „Uns muss Putin retten.“ Die Rentnerin hat sich mit anderen Bürgern Simferopols vor dem auch „Pentagon“ genannten Parlament in Simferopol versammelt – zu einer Kundgebung prorussischer Vereinigungen. Deren Teilnehmer sind wegen der geheimnisvollen Milizionäre ebenfalls nicht beunruhigt – im Gegenteil: Sie fühlen sich gut beschützt. „Sie unterstützen uns“, heißt es.
Die meisten hier wollen mehr Autonomie für die Krim – oder gleich einen Anschluss an Russland. „Mütterchen Russland, nimm das Volk unter deine Obhut“, steht auf einem der Transparente, hinter dem sich etwa 200 Menschen versammelt haben. Über Lautsprecher läuft der populäre Schlager „Auf der ganzen Krim hört man nur Russisch.“
„Einen Verräter der Krim lassen wir hier nicht durch“
Prorussische Nationalisten wittern nun ihre Chance: Der neue Premier Sergej Aksjonow (Chef der Partei „Russische Einheit“) wurde am Donnerstag nach der Besetzung in einer umstrittenen Sitzung gewählt. Das Krim-Parlament will am 25. Mai ein Referendum über den Status der Krim abhalten - eine Abstimmung, die von Kiew als illegitim angesehen wird. Doch von Kiew will man sich hier nichts mehr vorschreiben lassen: Dort hätten jetzt Faschisten das Sagen, heißt es hier.
Ähnlich wie in Kiew bei den Maidan-Protesten haben sich auf der Krim „Selbstverteidigungseinheiten“ gebildet. Und ganz ähnlich kommt es zu spontanen Aktionen nach dem Vorbild der ungeliebten Hauptstädter.
„Einen Verräter der Krim lassen wir hier nicht durch“, ruf Michail Scheremetjew, ein großer Mann mit Pelzkappe durch das Megafon. Vor ihm liegt ein Autoreifen mit der Aufschrift „Kunitsin – Verräter“. Hinter ihm haben sich sechs Dutzend Männer aufgebaut. Sie stehen, Fahnen der Krim in der Hand, vor einem rosafarbenen Gebäude. Es ist der Amtssitz des Vertreters des ukrainischen Präsidenten auf der Krim. Sergej Kunitsin wurde gerade zum neuen Abgesandten ernannt. Die Demonstranten sind darüber erbost. „Er hat hier keine Autorität“, sagt Scheremetjew, der ebenfalls zur „Russischen Einheit“ gehört. Dass Kunitsin dem neuen ukrainischen Präsidenten unterstellt ist, reicht für die Ablehnung. In sein Büro will man ihn nicht vorlassen. Eine Handvoll ukrainischer Milizionäre steht daneben. Sie beobachten das Treiben ohne einzuschreiten.