Mit dem Smartphone gegen Janukowitsch
Zwei Schreibtische, zwei Laptops, eine Pappwand. Es ist eine spärliche Kulisse, vor der eine der wichtigsten Aussagen der Proteste in der Ukraine gefallen ist. Mitte Januar sagte Oppositionspolitiker Vitali Klitschko im ukrainischen Web-Sender Hromadske.tv, er schließe einen Bürgerkrieg nicht mehr aus. Der Satz – und damit auch Hromadske.tv – schaffte es in fast alle großen deutschen Medien, der Sender ist seitdem zu einer Art Leitmedium der Maidan-Proteste geworden.
Hromadske.tv ist ein Zusammenschluss von rund 30 Journalisten. Sie alle kommen von etablierten
Medien, die in der Ukraine staatlich oder in der Hand von Oligarchen sind. „Wir hatten die Nase voll von Gängelung und Zensur und waren uns einig, dass in der Ukraine ein unabhängiges Medium fehlt“, erinnert sich Mitbegründerin Natalija Gumenjuk an den vergangenen Sommer, als sie mit ein paar Kollegen eine Etage eines Kiewer Bürokomplexes bezog. Drei Kameras, ein paar Smartphones und Laptops – das musste reichen, um gegen die Übermacht der etablierten Medien anzutreten.
„Wir haben durch die Proteste eine Art Kick bekommen.“
An diesem Tag war noch nicht abzusehen, wie passend das Timing der Hromadske.tv-Macher war. „Wir haben keine offizielle Sendelizenz bekommen und mussten deshalb ins Internet ausweichen“, sagt Gumenjuk. Die Notlösung entpuppte sich spätestens Ende November als Vorteil. Denn nachdem Präsident Wiktor Janukowitsch die EU in Vilnius vor den Kopf gestoßen und das geplante Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt hatte, schlugen die ersten Demonstranten ihre Zelte auf dem Maidan auf, und Hromadske.tv war von Anfang an dabei. „Wir haben durch die Proteste eine Art Kick bekommen. An dem Tag, als der Maidan gewaltsam geräumt wurde, haben über eine Million Menschen unsere Sendungen angeklickt“, erzählt Gumenjuk.
Das Team reagierte schnell: Aus der ursprünglich geplanten einen Sendung pro Tag wurden 24 Stunden Programm, live gestreamt über YouTube. Überall – erst nur in Kiew, mittlerweile im ganzen Land – stationiert der Sender seine Reporter, die filmen und das Material ins Studio schicken. Das alles per Smartphone, schnell und unzensiert. Hinzu kommen Pressekonferenzen, Schalten zum Maidan und Studiogäste. Über Facebook und Twitter verbreiten sie Nachrichten quasi in Echtzeit.
„Janukowitsch verletzt die Menschenrechte. Darüber lässt sich nicht diskutieren.“
Meist sind es keine vorteilhaften Nachrichten für die Staatsmacht, Hromadske.tv ist Präsident Janukowitsch und seinen Anhängern ein Dorn im Auge. Auch, weil der Sender von ausländischem Geld lebt. 50.000 Dollar kamen von der US-amerikanischen, 100.000 Dollar von der niederländischen Botschaft. Laut den Gesetzen, die das ukrainische Parlament Mitte Januar im Eilverfahren durchgepeitscht hatte, galten die Journalisten damit als „ausländische Agenten“. Mittlerweile hat das Parlament das Gesetzespaket wieder zurückgenommen, leichter arbeitet es sich für Hromadske.tv dadurch aber nicht.
Es ist gefährlich geworden für Journalisten in der Ukraine. Das Institute of Mass Information, eine Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen, aktualisiert ständig eine Liste von Journalisten, die während der Proteste im Januar verletzt wurden. Aktuell stehen 71 Namen darauf. Viele von ihnen berichten von bewussten Angriffen durch die Polizei.
Solche Vorfälle sind es, die Gumenjuk und ihre Kollegen öffentlich machen wollen: „Wir sind kein Oppositionssender, wir laden auch Regierungsvertreter zu Diskussionen ein. Aber die boykottieren uns.“ Außerdem, ergänzt sie fast verzweifelt, versuchten sie, unabhängig und unparteiisch zu sein. „Aber Janukowitsch geht gegen sein eigenes Volk vor. Er verletzt die Menschenrechte. Darüber lässt sich nicht diskutieren.“