Holocaust-Gedenkjahr in Ungarn beginnt mit Skandal
Viele ungarische Juden waren skeptisch gewesen und hatten es zugleich als Zeichen des guten Willens genommen: Die Budapester Orban-Regierung, die im Ruf steht, Antisemitismus nicht entschlossen genug entgegenzutreten und Rechtsextremen nach dem Mund zu reden, hatte das Jahr 2014 zum Holocaust-Gedenkjahr ausgerufen.
Zusammen mit den jüdischen Gemeinden und unter Beteiligung des israelischen Staates war eine Vielzahl von Aktivitäten geplant – landesweite Gedenkfeiern, Renovierungen von Synagogen, Förderung der Erinnerungskultur in öffentlichen Einrichtungen, ein großes, neues Gedenk- und Bildungszentrum zum Holocaust am ehemaligen Josefstädter Bahnhof in Budapest.
Nun sehen sich viele ungarische Juden in ihren Vorbehalten bestätigt: Das Holocaust-Gedenkjahr beginnt mit amtlichem Geschichtsrelativismus und antisemitischen Skandalen. Jüdische Gemeinden und Verbände drohen aus Protest an, ihre Beteiligung am Gedenkjahr abzusagen.
Denn: Zu Jahresanfang fanden erst einmal flächendeckende Gedenkfeiern für die in der Sowjetunion gefallenen ungarischen Soldaten statt – dort starben 1942/43 am Donbogen binnen weniger Wochen 100.000 Soldaten. Den Tenor gab das Verteidigungsministerium vor: Auf russischen Schlachtfeldern hätten ungarische Soldaten auch ihre Heimat verteidigt, so der Verteidigungssekretär Tamas Vargha auf der zentralen Gedenkfeier am 11. Januar in Budapest.
Kurz darauf relativierte der Leiter des regierungsamtlichen Geschichtsinstitutes „Veritas“, Sandor Szakaly, die ungarische Beteiligung an der Ermordung von 600.000 Juden 1944/45. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur MTI sagte er, Juden in Ungarn hätten erst nach der deutschen Besetzung des Landes am 19. März 1944 „bedeutende Verluste“ erlitten. Vorherige Deportationsaktionen des ungarischen Staates nannte er mit Blick darauf, dass die betroffenen Juden keine ungarische Staatsbürgerschaft besessen hatten, „fremdenpolizeiliche Angelegenheiten“.
Neues Denkmal verneint Beteiligung Ungarns am Holocaust
Die größte Kontroverse jedoch löste inzwischen ein geplantes Denkmal zur Erinnerung an die deutsche Besetzung Ungarns am 19. März 1944 aus. Es soll auf dem zentralen Budapester Freiheitsplatz stehen und zeigt einen Reichsadler (Hitler-Deutschland), der über den Erzengel Gabriel (Ungarn) herfällt.
Es ist ausdrücklich „allen Opfern“ des Zeitraumes von März 1944 bis zum Kriegsende im April 1945 gewidmet. Nach Lesart der Regierung, wie sie auch in der Präambel der neuen, seit 2012 gültigen ungarischen Verfassung festgehalten ist, endete Ungarns Souveränität am 19. März 1944. Der ungarische Staat, so die Konnotation, sei also nur eingeschränkt oder gar nicht verantwortlich gewesen für den Holocaust an den ungarischen Juden.
Ungarns jüdische Gemeinden und zahlreiche jüdische Verbände protestierten inzwischen gegen das Denkmal und forderten die Regierung auf, es nicht einzuweihen. Der Vorsitzende der Gemeindeföderation Mazsihisz, Andras Heisler, sagte am Dienstag in Budapest, wenn die Regierung an der Einweihung des Denkmals festhalte und wenn der Leiter des Geschichtsinstitutes „Veritas“ nicht zurücktrete, stehe die Teilnahme der Gemeindeföderation am Gedenkjahr in Frage.
Ein Sprecher der Regierungspartei Fidesz nannte die Debatte um das Denkmal „Hysteriemache“. Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban verteidigte das Denkmal. In einem Brief an den Mazsihisz-Vorsitzenden Heisler schrieb er, es gebe Kräfte, die das Gedenken politisch ausschlachten würden, man werde diese Versuche jedoch entschieden zurückweisen.
„Ungarn war zwar wichtiger Verbündeter Nazi-Deutschlands“
Auch zahlreiche prominente ungarische Historiker protestierten inzwischen gegen das Denkmal, darunter auch Krisztian Ungvary, einer der prominentesten ungarischen Historiker. „Dieses Denkmal ist eine grobe und tendenziöse Geschichtsfälschung“, sagt Ungvary. „Ungarn war zwar formal besetzt, blieb aber wichtiger Verbündeter Deutschlands.“
Der Budapester Historiker weist auch darauf hin, wie eifrig ungarische Behörden Juden deportierten. Hätten sie sich nur an die deutschen Vorgaben gehalten, rechnete Ungvary in seinem jüngsten großen Werk über die Horthy-Ordnung aus, dann hätten rund 200.000 ungarische Juden mehr überlebt.
Die Kontroversen im beginnenden Holocaust-Gedenkjahr bezeichnet Ungvary als „nützliche Wahlkampfveranstaltung“ für die Regierungspartei Fidesz. „Sie stellt Kritik als feindlichen ausländischen Angriff auf die ungarische Souveränität dar“, so Ungvary, „Und bei einem großer Teil ihrer Wählerschaft, die sehr weit rechts steht, kommt das gut an.“