Polen

Kirche hetzt gegen Gleichberechtigung

Dank der katholischen Kirche dürfte nun jeder Pole und jede Polin den bisher weithin unbekannten Begriff „Gender“ kennen. In nahezu allen katholischen Gemeinden wurde am „Sonntag der Heiligen Familie“ zwischen Weihnachten und Neujahr ein bischöflicher Hirtenbrief verlesen, der zum Angriff gegen die Gleichstellung von Mann und Frau blies.

Doch dass sie gegen Gleichstellung seien, schrieben die Bischöfe nicht direkt. Sie bekämpften nur die „Gender-Ideologie“, die unter dem Tarnmantel der Gleichstellung „neomarxistische und radikal feministische“ Positionen etabliere.

„Die göttliche Wahrheit über die Ehe steht über dem Willen der Individuen und den Launen einzelner Ehen“, schreiben die Bischöfe. Gleichstellung im Sinne von Gender sei ein Angriff auf dieses Familienverständnis. Die Kirchenoberen säen Angst vor diesem Konzept, das als Ideologie „ohne Wissen und Zustimmung der Gesellschaft“ schleichend eingeführt werde. Sie behaupten, dass „Gleichstellungsideologen Alte, Schwache und Behinderte als nicht vollwertig erachten“ und zugleich das Recht auf Euthanasie und Abtreibung propagieren.


Konservative Medien warnen vor Verweiblichung von Jungen

In Polen tobt seither eine scharfe Debatte zwischen liberalen und konservativen Teilen der Gesellschaft – und wird immer kurioser. Konservative und katholische Medien stürzen sich auf das Thema und führen Beispiele an, nach denen in Kitas Jungs als Mädchen verkleidet würden, um sie zu verweiblichen und auch der Homosexualität zu huldigen.

Einige hundert konservative Wissenschaftler verteidigten in einer Stellungnahme die Position der Bischöfe. Ein Parlamentsteam um Abgeordnete der konservativen Partei „Solidarna Polska“ (SP) will die Etablierung von Gleichstellungsideen stoppen. „Es geht um den Schutz der jüngsten Bürger unseres Landes, der Kinder“, sagte SP-Abgeordnete Beata Kempa.

Die Gleichstellungsbeauftragte der Regierung, Agnieszka Kozlowska-Rajewicz, entgegnete in einem kritischen Brief an die Bischöfe, „dass die gleiche Behandlung von Männern und Frauen in Polen seit Langem rechtlich anerkannt ist“, und keine Bedrohung für Familien darstelle.


Erst allmählich werden mehr Polinnen berufstätig

Tatsächlich etabliert sich allmählich in der polnischen Gesellschaft der Gedanke der Gleichstellung von Mann und Frau. Zwar ist die Quote berufstätiger Frauen in Polen mit die geringste in der EU, doch immer mehr Frauen drängen in bessere Positionen in Wirtschaft und Politik. Forderungen nach einer besseren Vereinbarung von Familie und Beruf werden lauter, die Betreuungsquote in Kitas und Krippen steigt.

Ein großer Teil der Gesellschaft pflegt jedoch weiterhin ein konservativ-nationales Familien- und Rollenbild. „Wir haben im Vergleich mit anderen Ländern erst eine sehr kurze Praktikumszeit bei der Gleichstellung“, sagt Kozlowska-Rajewicz. Daher auch konnte die katholische Kirche ohne viel Kritik seitens ihrer Gläubigen die Unterzeichnung der Konvention des Europäischen Rates zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ablehnen. Begründung: sie befördere „nicht stereotype sexuelle Rollen“.


Debatte rückt Missbrauchsfälle in den Hintergrund

Kritiker weisen darauf hin, dass die Angriffe der Kirche auch von jüngsten Pädophilie-Skandalen ablenken sollen. In den letzten Monaten wurden Missbrauchsfälle an Kindern durch Geistliche bekannt, die von den Hierarchen zunächst verschwiegen worden waren – und die nun in den Hintergrund gerückt sind.

Im Hirtenbrief machen die Bischöfe die Gleichstellungsprogramme mitverantwortlich für Pädophilie. „Die Angriffe der Kirche sind eine Neuauflage der Hexenjagd und ein zentrales Element eines großen Kreuzzuges hin zu einem neuen Mittelalter“, kritisiert die einflussreiche Feministin und Ethikerin Magdalena Sroda. Aber, so Sroda, die Kirche werde mit diesem „propagandistischem Spektakel“ auf lange Sicht scheitern.


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