Lettland

Kulturhauptstadt Riga: Kreativität mit wenig Geld

Die Miera iela ist eine schmale Straße, die vom Zentrum der lettischen Hauptstadt Riga in einen Außenbezirk führt. Kleine, hell erleuchtete Schaufenster blitzen hier und da zwischen den dunklen Fassaden auf. Freundliche Cafes und Bars, eine Glaswerkstatt und ein Bioladen, schrill designte Kindermode und ein alternativer Friseur.

In der Nummer 50 will Elina Berklava mit modernem Kunsthandwerk neue Trends setzen. Symbole aus der lettischen Folklore druckt sie auf Leggins oder hölzerne Untersetzer. Die einst finstere Gasse hat sich innerhalb weniger Jahre in ein kreatives Viertel verwandelt – auch dank der schweren Wirtschaftskrise, die Lettland 2009 in ihren Strudel riss: Als viele Läden dichtmachen mussten, konnten junge Künstler die leerstehenden Räume günstig mieten. Das motivierte Berklava, ihre eigene Boutique zu eröffnen.


Auf Misstände aufmerksam machen

Wenn Riga im Januar 2014 europäische Kulturhauptstadt wird, wollen Kunsthandwerker wie Berklava ihre Türen für jeden öffnen. Die Miera iela soll als Beispiel für ein lebendiges Wohnquartier dienen. Erfahrung haben die Künstler bereits auf dem jährlichen Straßenfest im Mai gesammelt: „Jeder kann an Workshops teilnehmen, bildhauern, Keramik herstellen oder Gläser blasen“, sagt Berklava.

Manche Künstler wollen das Kulturhauptstadtjahr auch nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen: Der Leiterin des Zentrums für Zeitgenössische Kunst, Solvita Krese, sind die zahllosen Leerstände in Riga ein Dorn im Auge. Denn obwohl jedes vierte Gebäude im Stadtzentrum unbewohnt ist, fehlen Ausstellungsräume. Die Stadt möchte ihre Immobilien lieber verkaufen, als sie Künstlern zur Verfügung zu stellen. So sprach Krese seit Beginn der Wirtschaftskrise Eigentümer leerstehender Häuser an; es folgten provisorische Ausstellungen und spontane Lesungen. Für 2014 verhandelt Krese eine Kunstschau in einer ehemaligen Notaufnahme. „Wir wollen im Kulturhauptstadtjahr den Mangel an Raum sichtbar machen. Wir haben so viele tolle Künstler, die ihre Arbeiten aber nicht zeigen können.“

Programmleiterin Aiva Rozenberga sagt, Riga wolle als Kulturhauptstadt vor allem die einfachen Bürger erreichen. „Jeder Einwohner ist 2014 für uns ein VIP.“ Eine kilometerlange Menschenkette von Buchliebhabern soll am Eröffnungstag am 18. Januar die alte lettische Nationalbibliothek mit dem spektakulären Neubau am Ufer der Daugava verbinden. Damit knüpft Lettland an die Tradition der Menschenketten an, mit denen Lettland, Litauen und Estland in den neunziger Jahren für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Am Eröffnungstag sollen Passanten zudem auf dem riesigen Rigaer Zentralmarkt über Multimedia-Shows in vielen Pavillons einen Geschmack davon bekommen, was die Kulturhauptstadt für Riga bedeuten kann. Während eine Pantomimengruppe in der Fleischhalle Kunden und Metzger mit einbeziehen will, wird in der Gemüsehalle zwischen Gurken und Tomaten frei musiziert. „Wir wollen mit den Leuten ins Gespräch kommen. Wenn die Bürger ein emotionales Erlebnis haben, dann können sie sich verändern, und dann können sie auch die Stadt verändern“, sagt Rozenberga.


Das größte Sängerfest der Welt

Mit 24 Millionen Euro verfügt die Kulturhauptstadt Riga über ein vergleichsweise kleines Budget, sagt Marketingleiterin Anna Muhka. „Als wir erfuhren, dass wir Kulturhauptstadt werden, steckten wir ja mitten in der Krise. Aber die Krise hat uns auch gelehrt, dass Not erfinderisch macht. Für Kreativität benötigen wir kein Geld.“

Trotzdem wird an aufwändigen Darbietungen nicht gespart. Dazu gehört „Born in Riga“ – eine Klassik-Gala mit Stars, die wie die Sängerinnen Elina Garanca und Sopranistin Kristine Opolais oder der Violinist Gidon Kremer aus Lettland stammen – sowie ein internationales Jazzfestival. Ein weiterer Höhepunkt ist eine internationale Chor-Olympiade, die zum ersten Mal in Lettland ausgetragen wird. Mehr als 20.000 Sänger aus 50 Ländern treten dabei im Juli überall im Land gegeneinander an. Das sei vor allem ein Erlebnis für die Letten, sagt der Dirigent Ints Teterovskis. Sie feiern zwar selbst alle fünf Jahre das größte Sängerfest der Welt, hörten aber selten Chöre aus anderen Ländern, traditionelle Musik aus Afrika etwa.

Für die Party nach dem Eröffnungsfest wählten die Organisatoren das private Kulturzentrum „Kanepe“ aus, das seit einem Jahr in den Räumen einer leerstehenden Musikschule entsteht. Frei nach dem Vorbild des kreativen Quartiers Miera iela. Investor Edgars Kanepe hofft, dass sich die Touristen 2014 in Riga so wohl fühlen, dass sie wiederkommen: „Wir wollen eine Kulturmetropole Europas werden.“


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