Mythos „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“
„Dieses Jahr ist es perfekt“, freut sich Gabriela Henter aus dem tschechischen Teplice. „TV Nova bringt den Film erst um 20.20 Uhr.“ Heiligabend ist gerettet. Dem Vergnügen, sich mit Freund und dem achtjährigen Sohn wie jedes Jahr das Wintermärchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ anzusehen, steht nichts mehr im Weg. Das ist nicht selbstverständlich. Denn anders als in Deutschland, wo es dieses Jahr rund um das Fest mehr als ein Dutzend Sendetermine gibt, läuft der Film im tschechischen Fernsehen jedes Jahr tatsächlich nur einmal. Und den Streifen auf DVD zu einer selbst gewählten Zeit zu sehen? „Dann wäre es nicht so, wie es sein muss“, wehrt Henter kategorisch ab.
Popelka, wie Aschenbrödel auf Tschechisch heißt, gehört zum tschechischen Weihnachten wie der Karpfen und die Geschenke. Und deshalb muss um den Film herum geplant werden. Denn Karpfen und Filmgucken schließen einander aus, erzählt die 40-jährige Henter. Als sie geboren wurde, kam der Kultfilm von Vaclav Vorlicek gerade in die Kinos. Bis heute haben ihn dort rund drei Millionen Tschechen gesehen. Seinen Siegeszug zum populärsten tschechischen Märchen trat der Film aber dank des Fernsehens an. Seit Weihnachten 1974 flimmert der Film jedes Jahr zu Heiligabend in die tschechischen Stuben.
Tschechischer Sinn für Humor
„Ich liebe den Film, seit ich fernsehen kann“, sagt die 27-jährige Eva Berrova aus Usti nad Labem und spricht aus, was viele Tschechen denken: „Das ist der tschechische Film schlechthin in tschechischer Umgebung, mit tschechischem Schnee und tschechischen Menschen.“ Allen voran die bezaubernde Libuse Safrankova, in Tschechien bis heute ein Star mit enormer Popularität. Die damals 19-jährige verlieh dem Aschenbrödel ein völlig neues Selbstbewusstsein. Dazu kommt die Musik von Karel Svoboda, dem Hofkomponisten von Schlagerbarde Karel Gott, der auch in diesem Film singt. Allerdings nicht in der deutschen Version.
Auch das ist ein Grund, warum Jana Stillerova den Film mit ihrer Familie nur auf DVD sieht. Die 34-jährige lebt zurzeit im sächsischen Bautzen, die deutsche Version käme für sie nie in Frage. Dafür kann sie eine alte Tradition bewahren. „Früher lief der Film vormittags, wir haben ihn immer beim Baumschmücken gesehen“, erzählt sie.
Und noch etwas macht den Film für Tschechen zum Nationalgut: „Er bedient unseren Sinn für Humor“, stellt der 67-jährige Stanislav Ded aus Chomutov fest. Es stört nicht einmal, dass es sich um eine Koproduktion mit der ostdeutschen DEFA handelt. Anna Skopkova, 36, aus Prag sieht darin sogar einen Vorteil: „Die Rollen der ‚Bösen’ im Film wurden mit Deutschen besetzt“, sagt sie augenzwinkernd.
Einem deutschen Beitrag zum Film haben die Tschechen allerdings ins Herz geschlossen: das Schloss Moritzburg bei Dresden mit seiner berühmten Treppe, auf der Aschenbrödel ihren Schuh verlor. Die Besucherzahlen der dortigen Ausstellung zum Film brechen alle Rekorde, gerade auch dank der Fans aus Tschechien.
Ohne Popelka kein Weihnachten
„Wir sind extra aus Prag angereist, um das Märchenschloss zu erleben“, erzählen Denisa und Jiri Havlickovi. Gerade die Aufnahmen an den authentischen Schauplätzen in den aufwändigen Kostümen haben es dem jungen Paar angetan. Diesen Bedürfnissen kommt die Ausstellung entgegen. Wer will, kann sich in den Kleidern fotografieren lassen, wie einst Aschenbrödel durch das beschlagene Fenster in den Ballsaal lugen oder sich mit Kopfhörern in die Filmmusik versenken.
Regisseur Vorlicek ist das Kunststück gelungen, nicht nur einen Film für alle Generationen zu schaffen. Er vereint auch ganz unterschiedliche Menschen. Während die Tatsache, dass die grausamen Szenen aus dem Originalmärchen geglättet und mit feinem Humor von ihrer Schwere befreit wurden, den Film kindgerecht machen, schätzen Erwachsene den realistischen Charakter.
„Der Film ist eigentlich mehr wie ein normaler Streifen gedreht, nicht wie ein Märchen“, erkennt Anna Skopkova aus Prag an. Trickeffekte seien auf ein Minimum reduziert. Für Stanislav Ded aus Chomutov ist er zudem nicht so kitschig wie andere Märchenproduktionen. Jana Stillerova wiederum gibt in Bautzen „ein bisschen Nostalgie“ zu. Für Gabriela Henter ist der Film indes einfach Tradition: „Ohne Popelka kein Weihnachten!“