Polen

Kazimierz - Vom Ghetto zum Szeneviertel

Kazimierz hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Szenetreffpunkt und Touristenmagneten in Krakau entwickelt. Auch das jüdische Leben ist nach der Wende in dem Stadtteil wieder zum Leben erwacht. So ist hier ein Schmelztiegel aus alter und neuer Kultur entstanden.

Jonathan Ornstein (43) - Geschäftsführer des Jüdischen Gemeindezentrums in Kazimierz (JCC): „Kazimierz ist neben Israel der beste Ort auf der Welt. Es passiert viel in diesem Viertel, das schlimme Zeiten erlebt hat und nun wieder aufblüht. Kazimierz hat es geschafft, seinen wahren Charakter zu bewahren trotz des Hypes, der gerade stattfindet. Besonders mag ich die Energie der jungen Leute hier. Krakau ist eine Studentenstadt, was sich in der hohen Kreativität und dem Gestaltungsdrang widerspiegelt.“ 

Wenn ich einen Vergleich finden müsste, würde mir auf Anhieb Berlin mit seiner künstlerischen Atmosphäre einfallen.“ Kasia Leonardi (32) 

Kasia Leonardi (32) - Eventkoordinatorin, arbeitet und lebt in Kazimierz: „Kazimierz ist ein großartiger Ort mit vielen Menschen, die ich mag. Es ist zwar nicht sehr ruhig hier, aber dafür immer interessant. Es gibt die unterschiedlichsten Typen von Bewohnern, von Künstlern und Kreativen bis hin zu Geschäftsleuten. Durch diesen Mix wird das Lebensgefühl des Viertels bestimmt. Kazimierz ist ein magischer Ort, an dem die Geschichte weiterlebt, als hätte sich nichts verändert. Wenn ich einen Vergleich finden müsste, würde mir auf Anhieb Berlin mit seiner künstlerischen Atmosphäre einfallen.“

Slawomir Pastuszka (23) – Student, lebt und arbeitet in Kazimierz: „Ich liebe diesen Stadtteil, weil er zentral ist und ich alles in meiner Nähe habe. Persönlich spüre ich nichts von der Geschichte, die mich umgibt. Ich lebe hier und alles ist ziemlich normal für mich. Das jüdische Gemeindezentrum ist mein Lieblingsplatz in Kazimierz und wie mein zweites Zuhause. Berlin ist meiner Meinung nach offener, da die katholische Kultur hier in Krakau eine große Rolle spielt.“ 


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Wer auch immer sich öffentlich zu seinen jüdischen Wurzeln bekannte, war unumkehrbar gesellschaftlich ausgegrenzt. In dieser Zeit war Kazimierz ein furchtbarer Ort zum Leben - alle Kriminellen wurden von der Regierung hierher geschickt.“ Michael (31)


Michael (31) – arbeitet in der Chabad-Synagoge von Kazimierz: „Kazimierz war ein jüdisches Viertel, bis alle Juden während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslager deportiert wurden. Diejenigen, die den Holocaust überlebten, wollten nicht mehr zurückkehren. Im Kommunismus war es verboten, den jüdischen Glauben auszuleben. Wer auch immer sich öffentlich zu seinen jüdischen Wurzeln bekannte, war unumkehrbar gesellschaftlich ausgegrenzt. In dieser Zeit war Kazimierz ein furchtbarer Ort zum Leben - alle Kriminellen wurden von der Regierung hierher geschickt.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion änderte sich alles und die Lebensumstände normalisierten sich. Leider wurden zahlreiche Gebäude zerstört, weil sich die Bewohner nicht um sie gekümmert haben. Ich finde es gut, dass dieses Viertel nicht vergessen wurde, weil es ein anderes Krakau darstellt. Das Viertel verändert sich kontinuierlich. Man kann hier zwar gut ausgehen, Spaß haben oder arbeiten, allerdings nicht leben. Es ist zwar schön, aber für meinen Geschmack zu laut. Ich bevorzuge ruhigere Orte.“

Stefania Chrihan (28) – Personalchefin eines Pharmaunternehmens, lebt in Kazimierz: „Gewissermaßen ist das hier ein verrückter Ort, wie eine Stadt in der Stadt. Als ich hierher zog, dachte ich an die Geschichte des Viertels. Es ist ziemlich komisch, in einem Stadtteil zu leben, der in der Vergangenheit ein jüdisches Ghetto war. Einige Familien leben seit den 50er Jahren in denselben Häusern. Es ist sehr zusammengewürfelt – alles und nichts. Ich mag die Häuser hier in Kazimierz sehr, von denen einige unrenoviert sind und dir das Gefühl einer Zeitkapsel vermitteln. Zwischen Krakau und Berlin sehe ich einen Unterschied, auch wenn sich ein kleiner Teil der Architektur ähnelt. Hier ist es friedlicher, zumindest kommt es mir so vor. “


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