Ukraine

Janukowitsch weiter fest im Sattel

„Raus mit der Bande“, ruft die aufgebrachte Menge auf der Straße. Mehr als fünftausend Menschen stehen am Dienstagnachmittag vor dem Parlament in Kiew und fordern den Rücktritt der Regierung. Die Polizei hat Busse am Abgeordnetenhaus postiert, Polizeiketten riegeln den Kuppelbau ab.

Kurz zuvor war im Parlament ein Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Mikola Asarow gescheitert. Nur 186 der 450 Abgeordneten stimmten für die Abdankung der Regierung, 226 Stimmen wären nötig gewesen. Die Opposition hatte gehofft, genug Stimmen für den Misstrauensantrag sammeln zu können, zumal am Montag vier Abgeordnete der regierenden Partei der Regionen zur Opposition übergelaufen waren. Bereits am Samstag hatte der Chef der Präsidialverwaltung, Sergej Lewotschkin, seinen Rücktritt eingereicht. Zwar lehnte Präsident Wiktor Janukowitsch das Gesuch ab, die Opposition rechnete aber damit, dass Lewotschkins Schritt weitere Volksvertreter der Regierungspartei zum Seitenwechsel ermuntern würde. Dies blieb jedoch aus.


Janukowitschs Konterfei mit Füßen getreten

Nach dem gescheiterten Misstrauensantrag gehen die Proteste in Kiew weiter. Seit Sonntag halten Aktivisten der rechtspopulistischen Partei Swoboda das Kiewer Rathaus besetzt. Der Stalinbau steht für Besucher offen, drinnen laufen Hunderte über die dicken Teppiche, Studenten knipsen Fotos vom holzgetäfelten Abgeordnetensaal. Ordnungsleute passen auf, dass niemand randaliert, Büros wurden versiegelt. Vor dem Ausgang liegt ein Plakat mit dem Bild von Janukowitsch auf dem Boden – aufgebrachte Bürger streifen die Füße an dem Foto ab.

Hatten die Proteste als Pro-Europa-Bewegung begonnen, so sind sie am Wochenende umgeschlagen in eine Revolte gegen den Staatspräsidenten. Die Demonstranten machen ihn für das Scheitern des Assoziierungsabkommens mit der EU verantwortlich.


Die Wirtschaft stagniert, der Präsident schwelgt im Luxus

Von einer Verbindung mit der EU erhoffen sich die Ukrainer einen höheren Lebensstandard. Auch Janukowitsch versprach bei der Präsidentenwahl im Februar 2010, die Wirtschaft anzukurbeln, mehr Jobs zu schaffen und ausländische Investoren ins Land zu holen. Doch während seiner Amtszeit wuchs die Wirtschaft nicht, die Devisenreserven fielen auf bedrohliche 20 Milliarden Dollar – vor drei Jahren verfügte die Nationalbank noch über 60 Milliarden Dollar. Lehrer, Professoren, Beamte müssen oft monatelang auf ihre Gehälter warten.

Während die ukrainische Wirtschaft am Abgrund steht, schwelgt Janukowitsch im Luxus. Der 63-Jährige, der in ärmlichen Verhältnissen im Osten der Ukraine aufwuchs, wohnt nördlich von Kiew in einem Palast auf einem 140 Hektar großen Grundstück. Hinter sechs Meter hohen Mauern liegen ein Golfplatz, Tennisplätze, ein Heliport, ein Reitclub und ein Yachthafen.

Janukowitsch behauptet zwar, ihm würde nur ein kleiner Teil des Anwesens gehören. Die Zeitung Ukrainska Prawda berichtet jedoch, der Präsident sei über ein Firmengeflecht Eigentümer der gesamten Anlage. Persönliche Bereicherung habe es zwar auch unter Julia Timoschenko gegeben, die 2005 sowie von 2007 bis 2010 Ministerpräsidentin war, „aber nicht in dieser Größenordnung“, sagt Andreas Umland, Politologe an der Kiewer Mohyla Akademie.

Noch sitzt Janukowitsch fest im Sattel. Im Oktober 2010 weitete das Verfassungsgericht die Befugnisse des Präsidenten aus und erklärte Reformen der Orangenen Revolution teilweise für ungültig. Unter anderem kann Janukowitsch den Premierminister vorschlagen und Minister einsetzen. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten sieht die Verfassung nicht vor. Er könnte nur freiwillig zurücktreten, wenn der Druck der Straße groß genug würde. Am Dienstag flog Janukowitsch ungeachtet der Proteste für einen Staatsbesuch nach China.


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