Lettland

Lettlands größte Katastrophe

„Ich habe furchtbar laut geschrien, ich war noch nicht bereit zu sterben.“ Mit weit aufgerissenen Augen blickt Swetlana Veidmane auf die Hölle, der sie am Donnerstagnachmittag entkommen ist. Berge von Schutt und Betonpfeilern türmen sich in der lettischen Hauptstadt Riga vor dem modernen „Maxima“-Supermarkt – beziehungsweise vor jener Fassade, die von dem Geschäft übriggeblieben ist.

Nach Feierabend herrschte im „Maxima“ immer Hochbetrieb. Die Kunden leben wie Swetlana in den umstehenden Plattenbauten. Swetlana hatte mit ihren beiden Freundinnen an der Kasse gestanden, als sie ein ohrenbetäubendes Krachen hörte und einen Betonpfeiler auf die Kassiererin stürzen sah. „Ich habe mich geduckt und bin unter dem Koloss weggesprungen“, sagte sie mit gepresster Stimme und bricht in Tränen aus. Beide Freundinnen wurden von der einstürzenden Decke erschlagen.


Pfusch am Bau

Bis Freitagnachmittag hatte die Feuerwehr 43 Leichen aus den Trümmern der eingestürzten Verkaufshalle geborgen, mehr als 20 Leute wurden noch vermisst. Der letzte Überlebende wurde am Morgen geborgen. Mehr als 30 Opfer wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Das sei die schlimmste Katastrophe, die Lettland in den 23 Jahren seit seiner Unabhängigkeit erlebt hat, sagt Richards Koslowskis von der lettischen Feuerwehr.

Rettungskräfte aus ganz Lettland beteiligen sich an der Bergung und riskieren dabei selbst ihr Leben: Drei Feuerwehrmänner wurden bereits unter herabstürzenden Wänden begraben. Mit Kränen werden die eingestürzten Deckenpfeiler aus dem Ladenraum gehoben, um Vermisste und möglicherweise weitere Überlebende zu befreien.

Als Unglücksursache werden Pfusch am Bau oder ein unsachgemäßer Umbau des Supermarktes vermutet. Auf dem „Maxima“ sollte ein Dachgarten errichtet werden. Dafür wurde auf dem Dach tonnenweise Erde aufgeschüttet; hinzu kam in den letzten Wochen viel Regen. Die Polizei ermittelt jetzt gegen die Betreiber des Supermarkts. Der Einkaufskomplex ist gerade einmal zwei Jahre alt und war sogar für einen Designpreis vorgeschlagen worden.


Swetlana hat Kerzen aufgestellt

Premierminister Valdis Dombrowskis hat in Lettland drei Tage Staatstrauer angeordnet. Zudem lässt er untersuchen, ob es weitere Ladengeschäfte in im Land gibt, die während Umbauarbeiten ihren Betrieb aufrechterhalten.

Swetlana hat an der Unglückstelle zwei Kerzen für ihre beiden Freundinnen aufgestellt. Sie erinnert daran, dass am Donnerstag, dem Unglückstag, für die russisch-orthodoxen Gläubigen der Tag des heiligen Michail gewesen sei. Der heilige Michail habe sie beschützt, sagt sie.


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