Ukraine

Die Ukraine bricht ihr Wort

Julia Timoschenko bleibt in Haft, die Westwendung der Ukraine ist gestoppt. Das ist das Ergebnis einer Parlamentssitzung am Mittwoch in Kiew. Die Abgeordneten von Regierung und Opposition konnten sich nach wochenlangen Verhandlungen nicht auf ein Gesetz einigen, das Timoschenkos Ausreise nach Deutschland ermöglichen sollte. Zugleich lief am Abend ein Ultimatum der EU aus. Brüssel macht die Freilassung der Oppositionsführerin zur Voraussetzung für den Abschluss eines weitreichenden Abkommens über eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Sollte in den kommenden Tagen nicht noch ein politisches Wunder geschehen, wird der für Ende November geplante Vertragsschluss scheitern. Damit stünde die gesamte EU-Strategie der Östlichen Partnerschaft vor dem Aus. Sie hat das Ziel, über Assoziierungen sechs postsowjetische Länder an die EU zu binden. Die Ukraine ist der Schlüsselstaat. „Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der ukrainischen Führung nicht nur eine große Provokation, sondern völlig verantwortungslos“, sagte die grüne Europaparlamentarierin Rebecca Harms dieser Zeitung.


Politischer Wortbruch

Eine Provokation ist vor allem der politische Wortbruch, den der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch begangen hat. Er ist es, der das Scheitern im Parlament aus dem Hintergrund steuerte. Zuvor hatte Janukowitsch über Monate hinweg EU-Vertretern auf allen Kanälen signalisiert, dass er den Fall Timoschenko positiv entscheiden werde. Am Mittwoch jedoch vollzog Premier Mykola Asarow, ein enger Vertrauter des Präsidenten, eine 180-Grad-Wende und sprach offen von einer „Rückkehr nach Russland“.

Eine letzte Hintertür bleibt offen. Erst am kommenden Montag entscheiden die EU-Außenminister über das weitere Vorgehen im Fall Ukraine. Angesichts der Machtfülle, über die Janukowitsch verfügt, ist daher eine neuerliche Kehrtwende über das Wochenende nicht ausgeschlossen. Die Opposition in Kiew bat deshalb die EU-Emissäre Pat Cox und Alexander Kwasniewski, sich in Brüssel für einen Aufschub bis Dienstag einzusetzen. Kwasniewski sagte dies vor der Abreise zu: „Wir hoffen weiter auf den guten Willen aller ukrainischen Politiker“, erklärte der frühere polnische Staatspräsident.


Kein Umsteuern in letzter Minute

Kommentatoren in Kiew halten ein erneutes Umsteuern in letzter Minute jedoch für „illusorisch“, wie die „Kyiv Post“ schrieb. Der Oppositions-Abgeordnete Gennadi Moskal sagte: „Janukowitsch hat panische Angst vor Timoschenko, und er macht uns alle zu Geiseln dieser Phobie.“ Tatsächlich spricht viel dafür, dass Janukowtisch aus innenpolitischen Motiven handelt. Offenkundig bewertet er den eigenen Machterhalt bei der Präsidentenwahl 2015 höher als die Zukunft des Landes in der EU. Das Risiko, dass ihn Timoschenko von Deutschland aus herausfordern könnte, scheint ihm zu hoch zu sein.

Möglich gemacht haben den Kurswechsel Lockangebote des Kremls. Zweimal innerhalb kürzester Zeit traf sich Janukowitsch zuletzt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Geheimgesprächen. Moskau hatte zuvor erheblichen Druck auf Kiew ausgeübt und mit einem Gas- und Handelskrieg gedroht, sollte sich die Ukraine der EU zuwenden. Nun versprach Putin dem hoch verschuldeten Nachbarn billige Energielieferungen, Wirtschaftshilfe und neue Kredite.

Janukowitsch droht jetzt in ein Popularitätstief zu stürzen. Fast zwei Drittel der Ukrainer hatten sich zuletzt für eine Annäherung an die EU ausgesprochen. Zu befürchten ist, dass er im Vorfeld der Präsidentenwahl 2015 die autoritären Tendenzen seiner Regierung verstärken wird.


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