Garri Kasparow will Lette werden
Unterricht in der Schachschule von Riga. Aufgeregt tritt der 13-Jährige Mikelis gegen Mitschüler und Lehrer an, die er in wenigen Zügen schachmatt setzen will. Doch dem Jungen fällt es schwer, sich zu konzentrieren: Am Dienstag verbreitete sich die Nachricht, dass der Russe Garri Kasparow die lettische Staatsbürgerschaft beantragt hat. Mikelis kann es kaum erwarten, dass der ehemalige Schachweltmeister den lettischen Pass erhält. Kasparow sei acht Jahre lang Weltmeister gewesen, er könne Lettland gegen andere Länder vertreten, sagt Mikelis, der schon weiter denkt: „Er kann mir helfen, selbst Meister zu werden. Wäre er Lette, dann könnte er mich trainieren, damit ich besser werde.“
Die Letten wollen sich ungern mt Russland anlegen
In den vergangenen Jahren waren es vor allem Sportler und Künstler, die vom lettischen Parlament mit der Staatsbürgerschaft belohnt wurden: die Organistin Jevgenija Lisicina, der Dirigent Maris Janssons und allein acht Eishockeyspieler, darunter Grigorijs Pantelejevs. Durch die Einbürgerung der Sportler konnte Lettland 1997 zum ersten Mal nach dem Austritt aus der ehemaligen Sowjetunion an einer Eishockey WM teilnehmen. Kasparow sagte, dass er als Bürger Lettlands einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung von Schülern und Studenten im Rahmen seines „Kasparow Schach-Fonds“ leisten könnte.
Kasparows Gesuch um Einbürgerung erhielten am Dienstag alle Abgeordneten der Regierungsparteien. Noch wisse er nicht, ob er ihm stattgeben wolle, erklärt Ainars Latkovskis von der Partei „Einheit“. Immerhin habe der ehemalige Schachweltmeister lange Jahre die russische Opposition angeführt und noch immer gelte er als erbitterter Gegner von Wladimir Putin. Niemand wisse, was Kasparow wirklich will, kritisiert Latkovskis. Es gebe das Gerücht, er wolle von Lettland aus eine neue russische Opposition aufbauen. „Weshalb möchte er seinen russischen Pass behalten? Plant er, sich wieder zur Wahl zu stellen?“, fragt sich der Abgeordnete. „Wir Letten haben keine Angst vor Moskau, aber wir wollen uns nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten Russlands einmischen.“
Auch in der lettischen Bevölkerung sind viele verwundert und misstrauisch ob der Anfrage des russischen Schachweltmeisters, der zurzeit in den USA lebt. Kasparow sei immer für einen Skandal gut gewesen, sagt eine Büroangestellte. „Er wird Lettlands Konflikte mit Russland schüren. Wir wollen keinen Ärger mit Moskau und sollten sein Gesuch ablehnen.“ Eine Studentin mutmaßt: „Vielleicht wird er von Amerika finanziert und will mit Russland spielen.“ Lettland könne auf derlei verzichten und solle sich lieber auf die eigenen Probleme konzentrieren.
Vorteile für den Schachsport in Lettland?
Der Politikwissenschaftler Andris Spruds kann dem Ersuchen Kasparows hingegen einiges abgewinnen. Probleme löse man am besten mit einer guten Strategie und viel Kreativität, das habe er gerade von Kasparow gelernt. Auch in Lettland habe das Schachspielen eine sehr lange Tradition, deshalb sollten sich die Letten glücklich schätzen, den Weltmeister als neuen Bürger begrüßen zu dürfen.
Spruds zieht eine Parallele zum französischen Schauspieler Gerard Depardieu, der im vergangenen Winter aus Protest gegen die neue Reichensteuer in Frankreich die russische Staatsbürgerschaft beantragt und erhalten hat. Depardieu habe zwar keine Verbindung zu Russland gehabt, aber Moskau habe es trotzdem genützt, meint Spruds. „So können auch wir von Kasparow profitieren. Auf einmal wird über Lettland geredet, die Welt nimmt uns wahr. In 150 Jahren Schachgeschichte gab es nur 15 Weltmeister und einer davon will zu uns. Wir sollten uns über dieses berühmte Genie freuen.“
Dem 13-jährigen Mikelis will das Spiel heute nicht gelingen. Aber das macht nichts, wehrt der Schachschüler ab. Wenn Garri Kasparow erst in Lettland ist, wird der ihn schon das Gewinnen lehren.