Mostar: Brücke ohne Seele
Es waren Bilder, die um die Welt gingen: Wackelige Amateuraufnahmen vom 9. November 1993 zeigen, wie die „Alte Brücke“ von Mostar von kroatischer Artillerie getroffen wird. Sie zittert und wankt, dann bricht sie schließlich nach einem erneuten Treffer zusammen und stürzt in die Fluten der Neretva. Die Zerstörung des Juwels osmanischer Baukunst sollte zum Symbol für den Krieg auf dem Balkan werden. Für viele Bürger von Mostar war es dagegen damals so, „als ob man ein Familienmitglied verlor“, sagt Alan Kajtaz, der das Ereignis aus nächster Nähe beobachtete.
Kajtaz ist Direktor des Roten Kreuzes in Mostar. Er sitzt in einem der unzähligen Cafes in der wieder aufgebauten Altstadt, durch die sich die Touristengruppen schieben. Wie viele Mostarer hatte auch er sein erstes Rendezvous unter der Alten Brücke, unzählige Mal war er über den hoch geschwungenen Bogen über den Fluss gelaufen. „Die Brücke hatte eine Seele“, sagt er. Sie war der Stolz der Stadt, ein Symbol für multiethnisches und –religiöses Miteinander von Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen. Und so gibt es nicht wenige, die sagen, dass mit dem Einsturz der Brücke auch Mostar seine Seele unwiderruflich verloren hat.
Die Brücke wurde zwar wieder aufgebaut und bereits 2005 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Stein um Stein ist dafür aus dem Fluss geborgen worden, um eine möglichst originalgetreue Kopie des alten Bauwerks herzustellen. Doch als Folge des Krieges ist Mostar bis heute ethnisch geteilt – in einen kroatisch dominierten Westen und einen muslimischen geprägten Osten. Auch wenn die Grenze für Außenstehende kaum sichtbar ist.
Kaum Kontakt zwischen Ost- und West-Mostar
„Die Trennung ist im System verankert“, sagt der Journalist Faruk Kajtaz. Das bedeutet etwa, dass der kroatische und bosnisch-muslimische Teil noch immer ihre eigenen Versorgungsbetriebe, Tourismusbüros oder Krankenhäuser unterhalten. Selbst Schulen und Universitäten sind getrennt und unterrichten offiziell jeweils auf Kroatisch und Bosnisch, obwohl es zwischen beiden Sprachen praktisch keinen Unterschied gibt. Das ist nicht nur finanzpolitischer Irrsinn. Es führt auch dazu, dass im Ost- und Westteil von Mostar eine Generation heranwächst, die kaum noch Kontakt zueinander hat.
Die Politik tut wenig, um zu einer Annäherung beizutragen. Die Westseite wird von den kroatischen Nationalisten der HDZ, die Ostseite von den bosniakischen Nationalisten der SDA dominiert. Und die blockieren sich, wo sie nur können. Vor einem Jahr konnten noch nicht einmal Lokalwahlen stattfinden, weil sich die Parteien nicht auf eine Änderung des Kommunalwahlrechts einigen konnten. Seitdem gibt es keinen Stadtrat, kein ordentliches Budget – nur einen Bürgermeister, der mit fragwürdiger Legitimität und durch provisorisches Flickwerk regiert.
Die Bevölkerung und Mitarbeiter internationaler Organisationen, die sich seit Jahren für die Verständigung in Mostar einsetzen, sind frustriert. „Es bewegt sich nichts“, klagt ein Mitarbeiter einer Organisation, der nicht namentlich genannt werden will. Eine Repräsentation des gesamtstädtischen Interesses fände praktisch nicht statt. Das einzige, das funktioniere, seien politischen Parteien als Instrumente zur Bereicherung ihrer Mitglieder. Insofern hätten viele Politiker leider ein großes Interesse am Fortbestehen des Systems. Denn „diejenigen, die davon leben, leben sehr gut. Sie würden etwas verlieren, wenn hier alles normal funktionieren würde.“
Die wirtschaftlichen Kosten der Teilung sind hoch
Für die Bevölkerung, die davon nicht unmittelbar profitiert, sind die Kosten dagegen hoch. Die Wirtschaft der früheren Industriestadt Mostar liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist immens, die Löhne sind gering, die Lebenshaltungskosten steigen. Und durch die Haushaltsblockade warten städtische Einrichtungen teilweise nun schon monatelang auf Geld. Das hat insbesondere für die Ärmsten der Armen existenzielle Folgen, wie Alan Kajtaz betont. Als Leiter des Roten Kreuzes ist er auch verantwortlich für die Armenküche der Stadt, genauer gesagt: für die Armenküche von West-Mostar. Denn natürlich ist auch diese städtische Einrichtung geteilt.
Eine Vereinigung der getrennten Strukturen würde viel Geld sparen, das den Bedürftigen zu Gute kommen könnte. So aber hat er nun schon seit drei Monaten kein Geld mehr von der Stadt erhalten und sitzt selbst auf unbezahlten Rechnungen. „Alle sind sich einig, dass sich etwas ändern muss“, sagt Kajtaz. Die Brücke ist wieder aufgebaut, das ist gut. „Aber leider erfüllt sie immer noch nicht ihre Aufgabe, die beiden Seiten einander wieder näher zu bringen.“