Deutsche Minderheit in Polen schrumpft um die Hälfte
Olsztyn (n-ost) - Mit Verwunderung haben führende Vertreter der verschiedenen Minderheiten in Polen auf die Ergebnisse der nationalen Volkszählung reagiert. "Ich bin überrascht, dass nur noch 150 000 Deutsche in Polen leben", sagte Friedrich Petrach, Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG).
Die Ergebnisse des Polnischen Hauptamts für Statistik, die die renommierte Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" jüngst veröffentlichte, weichen in der Tat von den bislang bekannten Zahlen stark ab. Demnach soll es in Polen 153 000 Einwohner mit deutscher Staatsangehörigkeit geben. Das polnische Kulturministerium ging bis jetzt von ca. 300 000 Deutschen in Polen aus. Das Auswärtige Amt schätzt die Zahl der Deutschen auf bis zu einer halben Million, von denen die meisten in den ehemals zu Deutschland gehörenden Gebieten Schlesien, Ermland und Masuren zu Hause sind.
Doch nicht nur die Zahl deutscher Staatsangehöriger weicht von den bisherigen Daten erheblich ab. Die ukrainische Minderheit im Land zwischen Oder und Bug schmolz gar auf rund zehn Prozent zusammen. Auf gerade 31 000 Bürger ukrainischer Staatsangehörigkeit kamen die Datensammler bei ihrer Zählung im Mai vergangenen Jahres. Bei der ukrainischen Minderheit stießen die neuen Fakten auf völliges Unverständnis. "Das Kulturministerium hat unseren Staatsvertretern aus Kiew noch kurz vor der Zählung gesagt, es leben 300 000 Ukrainer in Polen", wunderte sich Piotr Tyma, Schriftführer des Verbandes der Ukrainer in Polen im "Schlesischen Wochenblatt". Alleine nach Schlesien waren mit einem groß angelegten Ansiedlungsprogramm in der so genannten "Aktion Weichsel" nach dem Zweiten Weltkrieg rund 200 000 Ukrainer im sozialistischen Polen zwangsweise umgesiedelt worden.
Auch Funktionäre der weißrussischen, litauischen, und slowakischen Minderheit beklagten gegenüber der Wochenzeitung einen starken zahlenmäßigen Rückgang ihrer Landsleute. Gerätselt wird derzeit über die Ursache für den Zahlenschwund. Vielfach wurde der Verdacht geäußert, dass die mit einem Bleistift eingetragenen Angaben leicht manipuliert werden könnten. Wahrscheinlicher scheint eher, dass sich viele Angehörige der Minderheiten noch nicht völlig frei zu ihren Wurzeln bekennen wollen. "Viele haben Angst, sich am Arbeitsplatz und am Wohnort als Ukrainer zu outen", meinte Tyma. "Es fehlt der Mut, sich zum Deutschtum zu bekennen", wies auch Petrach in die gleiche Richtung. Stattdessen hätten sich 170 000 Personen zur Schlesischen Nationalität bekannt, von denen der VDG-Vorsitzende aber drei Viertel zur deutschen Minderheit rechnet.
Nun geht bei den Funktionären der Minderheit die Angst um. Mit dem neuen Zahlenmaterial könnte die polnische Regierung argumentieren, wenn się mutmaßliche Kürzungen bei der Kultur- und Sprachenarbeit der Minderheiten verteidigen muss. Diese zu verhindern, ist jetzt Petrachs vordringliche Aufgabe: "Ich muss deutsche und polnische Ministerien überzeugen, dass immer noch bis zu 300 000 Deutsche in Polen leben".