Belarus

Hinter der Dialogfassade

In den Regalen der Buchhandlung Logvinau liegen die aktuellen Bestseller: Ein dreisprachiger Bildband über Belarus, Stadtlegenden aus Minsk und der philosophische Essay „Der Abwesenheitscode“ von Valentin Akudowitsch, der in diesem Jahr auch in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp erschienen ist. Doch die Normalität in dem kleinen Laden in der belarussischen Hauptstadt Minsk trügt. Hinter den Kulissen des gleichnamigen Verlags wird derzeit um dessen Existenz gekämpft. Das belarussische Informationsministerium hat dem Verlag Logvinau Ende September die Lizenz entzogen. Das PEN-Zentrum Deutschland reagierte mit einem offenen Brief, in dem es dieses Vorgehen als politisch motiviert anprangert.

Ende November steht im litauischen Vilnius der nächste EU-Gipfel der Östlichen Partnerschaft an, zu dem auch wieder Vertreter aus Belarus erwartet werden. Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem autoritär regierten Nachbarn im Osten ist seit den Präsidentschaftswahlen 2010 allerdings ausgesprochen unterkühlt. Nach den Verhaftungen zahlreicher Oppositioneller hatte die EU Sanktionen verhängt: Über 200 Belarussen haben Einreiseverbot und ihre Bankkonten sind eingefroren. Grund genug für Präsident Alexander Lukaschenko, der EU zum wiederholten Mal die kalte Schulter zu zeigen und sich seinem starken Nachbarn Russland zuzuwenden.


Kein Raum für Andersdenkende

Erst in den vergangenen Monaten waren vereinzelt positive Nachrichten aus Belarus zu hören gewesen: Die zweijährige Haftstrafe gegen die bekannte oppositionelle Journalistin Iryna Chalip wurde aufgehoben und zwei Aktivisten aus der Haft entlassen. Doch von Liberalisierung könne keine Rede sein, so Jörg Forbrig vom German Marshall Fund. „Sicher hat man in den letzten Monaten den Eindruck zu erwecken versucht, dass es erneut zu einer Annäherung zwischen der EU und Belarus kommt“, so der Politikwissenschaftler. „Diese Dialogfassade hat jedoch vor allem dem Zweck gedient, Russland zu dringend benötigten wirtschaftlichen und finanziellen Zugeständnissen zu nötigen.“

Stattdessen lasse sich der Schlag gegen den Verlag nahtlos einreihen in das rigide Vorgehen des Regimes gegen die unabhängige Kulturszene im Land, betont Ingo Petz von der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft. „Das Regime ist darauf bedacht, den Raum für Andersdenkende zu kontrollieren“, so Petz. „Und wer sich in Belarus auf unabhängige und belarussischsprachige Literatur spezialisiert, muss ein Kamikaze-Krieger sein.“ Der Verleger Ihar Logvinau ist in der Verlagslandschaft von Belarus etwas Besonderes. In den 90er Jahren gegründet, hat der Verlag inzwischen über 700 Bücher herausgegeben und zählt zu den drei wichtigsten unabhängigen Verlagen im Land. Bei ihm erscheinen zeitgenössische Autoren - unabhängige Köpfe, die kein Blatt vor den Mund nehmen -, aber auch wissenschaftliche Bücher und Übersetzungen internationaler Autoren.


Resistente Kunst

Der Verlag ist immer wieder dazu bereit, in dem autoritär regierten Land, etwas zu riskieren. Eines der Beispiele dafür ist der Bildband „Belarus Press Photo 2011“, der ihm nun zum Verhängnis zu werden droht. Das Begleitbuch zu einem Fotowettbewerb wurde bereits im April 2013 von einem belarussischen Gericht als „extremistisch“ eingestuft. Stein des Anstoßes waren keine politischen Parolen, sondern Alltagsbilder aus Belarus: Junge Rekruten, die sich Lappen um die Füße wickeln oder sich missmutig zur allabendlichen Pflichtsendung im staatlichen Fernsehen versammeln. Das Urteil des Gerichts: Durch solche Bilder werde die Würde der belarussischen Bürger herabgesetzt. Unter diesem Vorwand soll nun auch dem Verlag die Lizenz entzogen werden. Verleger Ihar Logvinau will sich das allerdings nicht gefallen lassen: Beim zuständigen Gericht hat er bereits Beschwerde eingelegt und wartet nun auf einen Gerichtstermin.

Für den Autoren Artur Klinau würde mit dem Verlag so etwas wie die literarische Heimat verloren gehen: Hier hat er alle seine Bücher veröffentlicht, darunter das ins Deutsche übersetzte „Minsk: Sonnenstadt der Träume“ sowie sein rebellisches Kuntsmagazin „pARTisan“. Wenn der Lizenzentzug Bestand haben sollte, sei das eine „wirkliche Katastrophe“, so Klinau – für ihn, aber auch für viele seiner Kollegen. Der Schlag gegen den Verlag sei auch ein Schlag gegen die unabhängige Kulturszene insgesamt. Aufgeben ist aber auch für ihn keine Option: „Ich bin sicher, dass wir – und damit meine ich sowohl den Verlag als auch die Kulturszene – einen Weg finden werden, um unsere Aktivitäten fortzusetzen“, so Klinau. Schließlich seien sie es gewohnt, in einer feindlichen Umgebung zu überleben.

Jörg Forbrig vom German Marshall Fund fürchtet allerdings, dass der Schritt gegen Logvinau der Auftakt für weitere Repressionen gegen die immer lebhaftere und kritischere Kulturszene in Belarus sein könnte. Auch der EU-Gipfel Ende November habe darauf praktisch keinen Einfluss, da von belarussischer Seite die Erwartungen an das Treffen inzwischen ausgesprochen gering seien.


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