Ukraine

Fünftausend Euro für Julia Timoschenko

Stundenlang schon feilt Nikolai Schmatko an der Gipsbüste. Behutsam nimmt er den Frauenkopf in die Hand, schmirgelt mit Sandpapier die Wangen glatt und feilt an dem charakteristischen Haarkranz. Der Bildhauer mit dem Stutzbart sorgt in der Ukraine für Aufsehen: Schmatko meißelt Skulpturen der inhaftierten Julia Timoschenko. Fans der Oppositionellen stellen sich die Figuren in den Garten, andere verspotten den Künstler.

Bis vor kurzem war die Forderung nach der Freilassung Timoschenkos in der Ukraine eine Provokation. Die ehemalige Führerin der Orangenen Revolution sitzt seit Oktober 2011 wegen Untreue im Gefängnis. Die EU wirft der Regierung in Kiew vor, sie habe mit einem politischen Prozess Timoschenko ausschalten wollen. Nun hat Ministerpräsident Viktor Janukowitsch eingelenkt: Das Parlament in Kiew bereitet ein Gesetz vor, das der ehemaligen und am Rücken erkrankten Premierministerin die Ausreise ins Ausland für eine medizinische Behandlung erlauben würde.


Abgeordnete drohten mit Strafanzeige

An der Decke in Schmatkos Keller flackert eine Neonleuchte, auf einer Holzpalette neben der Wand thront die in Marmor gemeißelte Julia Timoschenko. Ein Tuch bedeckt die Hüfte der nackten Frau, in ihrem Zopf steckt eine Brosche - „Aurora“, die Morgenröte steht darauf geschrieben. Für die Skulptur, an der Schmatko ein Jahr lang arbeitete, habe eine Kunststudentin Modell gestanden. „Sie musste gut aussehen und Timoschenkos Körper unterstreichen“, erzählt der 73 Jahre alte Bildhauer.

Dass Timoschenko im Gefängnis sitzt, sei ein Verbrechen, meint Schmatko. Mit seinen Skulpturen rufe er Präsident Viktor Janukowitsch auf, die Politikerin freizulassen. Damit macht er sich in Kiew viele Feinde. Mehrere Abgeordnete der regierenden Partei der Regionen hätten mit Strafanzeige gedroht, berichtet Schmatko. Regierungsnahe Zeitungen und Fernsehsender überziehen den Künstler mit Hohn und Spott.


Janukowitsch ist kompromissbereit

Im Fall Timoschenko zeigt sich Janukowitsch unterdessen kompromissbereit. Ende November will die Ukraine im litauischen Vilnius ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterschreiben. Mehrere EU-Staaten machen den Vertrag, der die Ukraine näher an Europa rücken würde, aber vom Schicksal der Politikerin abhängig. Timoschenko hatte sich im Frauengefängnis in Charkow die Bandscheibe verletzt und muss laut Ärzten der Berliner Charite operiert werden.

Wenn das Parlament in Kiew per Gesetz Timoschenkos Freilassung und ihr Behandlung in Deutschland ermöglicht, wird Janukowitsch zustimmen. „Ich werde das Gesetz selbstverständlich unterzeichnen“, sagte Janukowitsch vergangene Woche in Donezk. Über die Ausreise müsse zusätzlich ein Gericht entscheiden, fügte das Staatsoberhaupt hinzu.

„Würde Janukowitsch seine Rivalin freilassen, wäre das eine staatsmännische Geste“, sagt Bildhauer Schmatko. Die Politikerin solle den Ukrainern in Erinnerung bleiben, sagt er weiter. Schmatko bietet seine in Stein gehauene Timoschenko für fünftausend Euro zum Kauf an. Das sei kein hoher Preis, meint er, denn von dem Honorar müsse der Künstler auch den teuren italienischen Marmor bezahlen. Einzelne Abgeordnete von Timoschenkos Vaterlandspartei hätten Interesse gezeigt. Timoschenko-Fans mit kleinem Geldbeutel können die Gipsbüsten für je 200 Euro kaufen. „Einige stellen sich die Büsten in den Garten, andere auf den Schreibtisch“, erzählt Schmatko.

Eine Skulptur kostet 5.000 Euro

Geld kann der Bildhauer gut gebrauchen. Seine Galerie musste Schmatko vor einem Jahr schließen, weil er die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Seitdem wohnt der Skulpteur in einem Betonkeller in Perejaslaw-Chmelnizkij nahe Kiew. In einer Ecke stehen ein Klappbett, ein Schreibtisch mit Laptop und Drucker und eine Mikrowelle. Nachts pfeift der Wind durch die Löcher, wenn es regnet, tropft Wasser von der Decke. „Morgens weiß ich nicht, wie es weitergehen soll“, sagt der Mann mit dem T-Shirt und der grauen Mähne.

Dabei zählt Schmatko zu den bekanntesten Bildhauern der ehemaligen Sowjetunion. In Hannover verlieh ihm ein Galerist den Spitznamen „Marmorkönig“. Auf der Biennale in Florenz gewann er den vierten Preis für Bildhauerei. Fotos zeigen den Künstler zusammen mit Fürst Albert II. von Monaco, mit Milliardär Peter Dussmann und Timoschenko-Tochter Jewgenija.


Die Gipsbüste für den kleinen Geldbeutel

Schmatko deutet auf zwei Gipsbüsten in einer Holzkiste. Eine Büste stellt Ex-Präsidenten Viktor Juschtschenko dar, der Julia Timoschenko auf die Wange küsst. Das Werk soll eine Parodie auf die beiden Politiker sein, die während der Orangenen Revolution zusammen kämpften und sich später zerstritten. „Ein Grund, wieso der Umbruch in der Ukraine scheiterte“, seufzt Schmatko. An eine zweite Orangene Revolution glaube er nicht, selbst wenn Timoschenko frei kommen würde. „Sie hat keine Kraft mehr.“

In Schmatkos Keller steht auf einem Podest auch eine Skulptur von Präsident Viktor Janukowitsch – mit einem Strick um den Hals. Ein Symbol, was ihm in Zukunft drohen könnte, sagt Schmatko.


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