Bagger auf Friedhöfen
Alarm schlugen die Anwohner im Internet. „Mir ging der Hut hoch“ – schrieb eine Bloggerin. „Das Gelände war zwar verwahrlost und gefährlich, aber dort standen Reste von schönen alten Grabmälern, manchmal waren sie sogar noch ganz. Jetzt ist alles weg“. Die Blogger berichten über die Baufahrzeuge, die vor gut einem Monat die Überreste des alten evangelischen Friedhofs im niederschlesischen Sobota/Zobten am Bober platt baggerten – ohne Rücksicht auf die Gebeine, die teilweise noch in den Gräbern zu sehen waren. Die Gräber und die morschen Särge wurden mit Sand und Lehm zugeschüttet. Manche Gräber stehen allerdings bis heute offen. Als die Lokalzeitung über den Fall berichtet hatte, wurden die Arbeiten unterbrochen.
Die Stadt soll schöner werden
Die Bagger wurden vom Bürgermeister der nahe gelegenen Kreisstadt Löwenberg/Lwowek bestellt. „Das Gelände war verfallen und wurde seit Kriegsende nicht mehr genutzt“, erklärt Leslaw Karkosz, der Kommunalabteilungsleiter in Lwowek. „Überall auf dem Friedhof lagen Müll und Schutt herum, es fanden sogar Saufgelage statt. Also haben wir beschlossen, aufzuräumen“. Karkosz behauptet, dass die Ruhestätte nicht zerstört, sondern lediglich „saubergemacht“ wurde. Das ist ein Unterschied, denn laut Gesetz müssen vor der Beseitigung eines Bestattungsortes die Überreste exhumiert werden.
Jacek Klakocar, Chef der zur Durchführung von Exhumationen zuständigen Sanitätsbehörde in Breslau (Sanepid) macht sich deswegen keine Vorwürfe. „Auf dem Friedhof von Sobota ist nichts schlimmes passiert. Das Terrain wurde lediglich saniert“. So habe es ihm der Bürgermeister schriftlich versichert. Dass in demselben Dokument die Rede ist von Planungen zu einem „Komplex, der die Kultur- und Erholungsbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen wird“, hat den Beamten nicht stutzig gemacht. Ein Parkplatz und ein Spielplatz sollen auf dem Gelände entstehen. Klakocar glaubt, die Stadt werde dann „schöner aussehen“.
Die Bewohner von Sobota sehen das anders. Die meisten empören sich über die Vorgänge. Sie können es sich überhaupt nicht vorstellen, ihre Kinder auf einem Spielplatz spielen zu lassen, von dem gerade Gräber entfernt wurden. „Da liegen Menschen aus unserem Dorf“, sagt Marta, Verkäuferin in einem Laden, „Sie haben vielleicht in unseren Häusern gewohnt.“ Auch die Kommentare im Internet drücken Ärger aus. Verglichen wird die Situation mit der in den ehemaligen Ostgebieten Polens, die heute in der Ukraine, Litauen und Belarus liegen: „Die Polen protestieren heftig, wenn ihre Friedhöfe im Osten zerstört werden. Jetzt machen wir genau das Gleiche“, schreibt ein Blogger.
„Respektlosigkeit gegenüber einer anderen Kultur“
Unterstützung bekommt der Bürgermeister von Lwowek dagegen vom Denkmalschutzamt in Jelenia Gora/Hirschberg, das in der Vergangenheit die Anwohner kritisierte, weil sie jahrelang alte deutsche Ruhestätten verwahrlosen ließen und als Baumaterialdepot oder Mülldeponie nutzten. Das Vorgehen der Behörde empört Sebastian Koziel, den Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Jelenia Gora. „Das ist Ausdruck der Respektlosigkeit gegenüber einer anderen Kultur. In Westpolen teilt man die Friedhöfe ein in die Deutschen und die Unseren. Die ersten dürfen absichtlich zerstört werden“, sagt Koziel.
Die Beseitigung des Friedhofes in Sobota sei kein Einzelfall, berichtet Koziel. Vor einem Jahr wurden in Maciejowice bei Jelenia Gora ebenfalls evangelische Gräber abgetragen und ein Discount-Markt errichtet. Auch in diesem Fall wurden die Gebeine nicht exhumiert. In Skarszewy in Pommern finanziert die Europäische Union die Erneuerung eines Erholungsparks. Das Freizeitgelände entsteht genau dort, wo sich bis in die 1970er Jahre ein evangelischer Friedhof befand.
In Sobota hat sich mittlerweile die Polizei wegen mutmaßlicher Leichenschändung eingeschaltet. Ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt, ist ungewiss. Es ist allerdings zu befürchten, dass, so wie anderswo auch, der evangelische Friedhof in Sobota vollständig „aufgeräumt“ wird.