Schlossherren gesucht
Olsztyn(n-ost).Wer träumt nicht davon. Ein eigenes Häuschen inmitten eines alten Parkes, idyllisch an einem verträumten See gelegen, tagsüber den Ruf der Kraniche lauschend. Diesen Traum und mehr kann sich in Ermland und Masuren erfüllen, wer über die notwendigen finanziellen Möglichkeiten und über gute Nerven beim Kontakt mit den polnischen Behörden verfügt.
Mehr als 70 Schlösschen, Gutshäuser, Herrensitze und Parkanlagen bietet derzeit die Staatliche Agentur für Landwirtschaftliche Liegenschaften in nordostpolnischen Allenstein (AWRSP) zum Verkauf an. Die 1991 gegründete Behörde wurde nach der politischen Wende mit der Privatisierung der staatlichen landwirtschaftlichen Gebäude und Flächen im ehemaligen Ostpreußen beauftragt. „Insgesamt standen damals 900000 ha Land und rund 200 historische Gebäude zum Verkauf oder zur Vermietung zur Verfügung“, listet der Vizedirektor der Agentur, Leon Szeląg, das gewaltige Ausmaß an zu verwaltenden Immobilien auf. Die Sahnestücken seien jedoch schon vergeben. Jetzt werden die angeboten, deren Zustand noch stark verbesserungswürdig ist. „In diese Gebäude muss deutlich mehr investiert werden“, sagt er. Dies beginne bei einigen 1000 Złotys (1 Euro sind rund 4 Złotys) und reiche dann bis zu fünf- oder sechsstelligen Summen, je nach Größe des Objekts. Ihm zu Folge sind die Käufer zumeist finanziell gut gebettete Personen. Doch der Kauf, so warnt der Vize, ist zumeist nicht das Problem. Die folgenden Renovierungs- und Unterhaltungskosten, die häufig ein Mehrfaches des Kaufpreises betragen, würden viele unterschätzen. Nur wenige Gebäude seien deshalb so gepflegt wie es wünschenswert wäre. Das Resultat: viele der vor der Wende als Wohnungen und Büros genutzten Adelssitze sind mittlerweile abgewohnt und runtergewirtschaftet.
Doch aus diesen Anfangsfehlern hat man gelernt. „Jetzt werden in den Verträgen Auflagen gemacht, dass der Unterhalt der Gebäude verpflichtend ist“, erklärt Jerzy Batia, der bei der AWRSP zuständig ist für die Verwaltung der Immobilien. Eines der Vorzeigeanlagen ist die Gutsanlage Teistimmen (poln. Tejstymy), rund 60 Kilometer nordöstlich von Allenstein. Das alte Rittergut aus dem 19. Jahrhundert gehörte bis zum Kriegsende der Familie Schleußer. Nach Krieg und Vertreibung war das Gut Sitz eines typischen staatlichen landwirtschaftlichen Betriebes. „1200 Hektar Land, Ackerbau sowie Bullen- und Schweinezucht“, so umschreibt der damalige Direktor das frühere Profil. Heute ist er Gutsverwalter auf Teistimmen. Besitzer ist seit 1996 ein Mann aus der Computersoftwarebranche, aus dem offensichtlich immer noch boomenden Warschau. „Es war gerade in Mode, sich solche Gutshäuser im Nordosten Polens zu kaufen. Er hatte Geld“. Kurz und bündig bringt der Gutsverwalter die Kaufgründe seines neuen Herrns auf den Punkt und an seiner Mimik ist schwer zu erkennen, ob ihm als früheren landwirtschaftlichen Direktor diese Art der Motivs gefällt.
Mittlerweile sind die Zeiten der Viehzucht vorbei. Kurz geschnittener Rasen, akkurat renovierte Wirtschaftsgehöfte und mehr als 450 Quadratmeter Wohnfläche des Gutshauses im modern-westlichen Gewand. Ohne Zweifel, der Unternehmer, Vater zweier Kinder und Mann einer sehr blonden Frau, gab sich bei der Renovierung größte Mühen, obwohl er nach Aussagen seines Gutsverwalters selbst nicht häufig die Zeit für einen Abstecher nach Masuren findet.
Während der Immobilienerwerb polnische Staatsbürger vor keine großen Hürden stellt, sind diese für Ausländer zumeist nicht zu bewältigen. Da hilft auch kein noch so dickes Päckchen Euroscheine. Die polnische Beziehung zu ihrem „Stück Erde“ ist hoch emotional und wird beim Blick auf die wechselvolle Geschichte des Landes verständlich. Eingezwängt zwischen den beiden Großmächten, Preußen bzw. Deutschland als westlicher, das mächtige Russland als östlicher Nachbar, wurde Polen in der Geschichte stark in Mitleidenschaft gezogen. Diese historischen Erfahrungen fanden ihren Widerhall auch in polnischen Gesetzestexten. Demnach dürfen Nicht-Polen lediglich ein 1,5 Hektar großes Gelände auf dem Land kaufen. „Überschreitet die gewünschten Größe der Immobilie diese Vorgaben“, erklärt der Vizedirektor Szeląg, „ist die Zustimmung des polnischen Innenministeriums nötig“. Dafür müsse ein Antrag gestellt werden. Um diesen langwierigen Weg zu umgehen, empfiehlt er, sich mit einer polnischen Firma zusammen zu tun und somit das Objekt zu erwerben. Daran wird auch der mutmaßliche EU-Beitritt nichts ändern, beharrte doch die polnische Seitebei den Beitrittsverhandlungen erfolgreich auf einer siebenjährigen Übergangsfrist bis zum freien Landerwerb. Die vielerorts kolportierten Ängste vom Ausverkauf Polens, so betonen Szeląg und Batia einträchtig, teilen sie nicht. Lediglich 1,5 Prozent der Landesfläche in Ermland und Masuren seien in der Hand von Ausländern. Für Gesamtpolen ist diese Zahl sogar noch niedriger. Wie das Warschauer Ministerium für Inneres und Verwaltung Mitte April mitteilte, sei derzeit erst ein Tausendstel der Gesamtfläche an ausländische Staatsangehörige verkauft. Dies entspricht 34000 Hektar.
Unterdessen rennt der Allensteiner Behörde die Zeit davon. Der Zustand vieler bislang nicht verkaufter Gebäude verschlechtert sich zusehends. Die Chancen, dafür Interessenten zu bekommen, schwinden. Ihr Ratschlag: „Es lohnt sich, eine Parkanlage zu kaufen und dann darauf ein Schloss oder ein Haus zu bauen“. Oder man wählt eine andere Möglichkeit, so wie jüngst ein vermeintlich findiger Geschäftsmann. Dieser erstand in der Nähe von Goldap im Nordosten der Woiwodschaft für 120 000 Złotys eine alte Eisenbahnbrücke. Künftig können dort waagemutige Masuren als Bungee-Springer kopfüber in die Welt der westlichen Erlebnisgesellschaft springen.