Die Rettung eines Mythos
August 1980: Eine Menschenmenge blockiert die Eingänge der Danziger Werft. Sicherheitskräfte halten die Masse in Zaum. Lech Walesa kann seinen alten Betrieb nicht betreten, denn er hat Hausverbot. Der einzige Weg, der ihm bleibt, ist der Sprung über die Mauer, zurück zu seinen ehemaligen Kollegen, mit denen er die erste freie Gewerkschaft Polens, die Solidarnosc, gegründet hat.
Eine legendäre Szene, die auch in der Verfilmung seiner Biografie nicht fehlen durfte. „Walesa – Mann der Hoffung“ ist ein Geschenk des polnischen Meister-Regisseurs Andrzej Wajda an seinen Weggefährten zum 70. Geburtstag am 29. September. Walesa fühlt sich geehrt, kommentiert sein Geschenk aber nur ungern. „Immerhin habe ich mich nicht gelangweilt.“ Allerdings: ein solcher Wichtigtuer wie dargestellt sei er im wirklichen Leben sicher nicht gewesen.
„Er war ein schlechter Präsident"
Die meisten Polen dürften da anderer Meinung sein. Zu oft ist der Friedensnobelpreisträger und einstige Vorzeigedemokrat mit seiner Art schon angeeckt. Interviews bricht er regelmäßig ab, wenn ihm Journalisten vermeintlich unwürdige Fragen stellen. Seine Meinung zu Homosexuellen hingegen äußert er gerne laut und undiplomatisch. Homosexuelle Abgeordnete sollten nach Walesas Ansicht „im Sejm nicht nur in der letzten Reihe sitzen, sondern am besten hinter der Mauer“.
Äußerungen wie diese lassen den Mythos Lech Walesa nach und nach verblassen. Erste Kratzer hatte er bereits während seiner Präsidentschaft Anfang der 90er bekommen. „Er war ein eher schlechter Präsident“, urteilt etwa die Wochenzeitschrift Polityka. Er habe einen ganzen Hofstaat von Mitarbeitern um sich geschart, doch auch sie konnten dem höchsten Amt im Staate keinen Glanz verleihen. Doch von diesen Facetten, von Walesas „schlechtem Gesicht“ sei in Wajdas neuem Film keine Rede, kritisiert die Zeitung.
Ein Held für alle
Wajda macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Walesa. Als „Held für alle“ bezeichnet er ihn und bedauerte, „dass er für seine Verdienste in Polen leider nie die angemessene moralische Unterstützung bekommen hat“. Auch viele junge Leute vertreten diese Meinung zunehmend. Eine Riege junger Künstler etwa würdigt Lech Walesa auf ihre ganz eigene Art. Der Musiker Kamil Bednarek, Jahrgang 91, steuert das offizielle Promotionvideo zum Film bei. Der Rapper Lukasz Rostkowski alias L.U.C. hat seinen neusten Song gar „Tribute to Solidarity“ genannt. Walesa sei für ihn eine Ikone. „Er hat den Polen gezeigt, was man mit Dialogbereitschaft erreichen kann. Leider haben das die meisten heute schon wieder vergessen.“
Eine Ikone ist Walesa für Dariusz Rytula schon lange nicht mehr. Der 32-Jährige ist einer der rund 100.000 Teilnehmer, die Mitte September gegen die Regierung von Premierminister Donald Tusk in Warschau auf die Straße gegangen sind. Rytula trägt ein weißes „Solidarnosc“-Shirt, der Gewerkschaft, dessen Wortführer Walesas einst war und mit der er das kommunistische Regime in die Knie gezwungen hat. Die Solidarnosc von heute und Walesa – das geht nicht mehr zusammen, meint Rytula: „Natürlich ist er eine wichtige Person in der polnischen Geschichte, aber er identifiziert sich heute leider mit der falschen Partei.“ Eine Anspielung darauf, dass Walesa Anhänger der regierenden Bürgerplattform ist, der Partei, die für die meisten der Protestierenden das Feindbild darstellt. „Walesa hat sich und die Ideale der Solidarnosc verkauft“, mischt sich Anna Niczkowiak ein. Auch sie trägt ein Solidarnosc-Shirt.
Walesa selbst kennt all diese Vorwürfe, wischt sie jedoch stets in bekannter Art vom Tisch. Und überhaupt, wenn man 70 werde, denke man schon häufiger einmal an den Tod. „Dann liege ich unter der Erde oder bin verbrannt, was geht mich das dann alles noch an?“