Rumänien

Streit um rumänische Straßenhunde

Der vierjährige Ionut und sein zwei Jahre älterer Bruder Andrei waren aus dem Park weggelaufen, sie wollten auf einer nahegelegenen Brachfläche spielen. Ihre Großmutter, die auf einer Parkbank saß, hatte nicht gesehen, wie ihre Enkel verschwanden. Als sie es bemerkte, war es zu spät. Andrei konnte fliehen, die Hunde hatten ihn nur ins Bein gebissen. Den kleinen Ionut fand die Polizei später in einem Gebüsch. Er war völlig zerfleischt.

Die schreckliche Attacke einer Meute von Straßenhunden ereignete sich am Montag dieser Woche in einem Park im Bukarester Norden. Seitdem sind viele Rumänen und vor allem viele Bukarester in Aufruhr. Der Tod des kleinen Jungen ist derzeit Thema Nummer eins in rumänischen Medien und in zahlreichen Internet-Diskussionsforen. Laut einer aktuellen Meinungsumfrage plädieren zwei Drittel der Einwohner Bukarests für die Tötung der Straßenhunde.

Auf etwa 65.000 schätzen die Behörden ihre Zahl in der rumänischen Hauptstadt. Allein für dieses Jahr zählte das Anti-Tollwut-Zentrum 10.000 Impfungen nach Hundebissen, darunter 2.000 bei Kindern. Letztes Jahr wurden 16.000 Bukarester von Hunden gebissen.


Basescu fordert Gesetz zur Einschläferung von Straßenhunden

Angesichts der dramatischen Lage forderte der rumänische Staatspräsident Traian Basescu die Regierung auf, schnell ein Gesetz zur Einschläferung von Straßenhunden zu verabschieden. Der Bukarester Oberbürgermeister Sorin Oprescu entschuldigte sich mit Tränen in den Augen bei den Eltern des totgebissenen Kindes und kündigte ein Referendum über die Einschläferung der Straßenhunde an. Einen Rücktritt lehnte er ab.

Aufgebrachte Bukarester, vor allem Eltern mit Kindern, werfen den Behörden in der rumänischen Hauptstadt jedoch vor, zu wenig gegen das ausufernde Problem der Straßenhunde getan zu haben. Unter dem Motto: „Kinder sind kein Hundefutter! – Wir wollen keine Straßenhunde mehr!“ wollen sie auf die Straße gehen, falls die Bukarester Behörden nicht schnell reagieren.

Die Hundeattacke auf den vierjährigen Ionut ist nicht der einzige derartige Fall mit Todesfolge, sondern nur der neueste. Im Januar letzten Jahres starb eine Rentnerin im nordrumänischen Sathmar nach einer Hundeattacke, zwei Monate später töteten streunende Hunde einen sechsjährigen Jungen in einem ostrumänischen Dorf. Im Januar 2011 griffen Bukarester Straßenhunde eine 49-jährige Angestellte einer Recycling-Firma während einer Inspektion an, drei Tage später starb sie an ihren schweren Verletzungen. Im Januar 2006 verblutete ein japanischer Geschäftsmann in Bukarest, als ein Hund ihn abends in die Kniekehle gebissen und dabei eine Schlagader durchtrennt hatte.

Nach Schätzungen gibt es in rumänischen Städten und Gemeinden insgesamt mehrere hunderttausend streunende Hunde. Sie sind eine der vielen schwierigen Hinterlassenschaften der Ceausescu-Diktatur. Als ab Ende der 1970-er Jahre in Rumänien immer mehr Innenstädte mit ihren kleinen Villen und Gärten „systematisiert“, also abgerissen wurden, um Plattenbauten Platz zu machen, nahmen viele der zwangsumgesiedelten Bewohner ihre Hofhunde nicht mit, sondern ließen sie einfach auf der Straße, wo sie sich immer rasanter vermehrten.


Tierschutzorganisationen plädieren für Zwangssterilisierung

Einige wenige rumänische Städte, darunter das siebenbürgische Kronstadt, haben das Problem durch ein konsequentes Tötungs- und Sterilisierungsprogramm in den Griff bekommen. Nicht so Bukarest. Schuld daran ist zum Teil der Schlendrian der Behörden, zum Teil die schlechte Gesetzeslage: Im letzten Jahr hatte das Verfassungsgericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, das die Einschläferung von Straßenhunden erlaubt hätte. Tierschützer hatten jedoch erfolgreich gegen das Gesetz geklagt. Die internationale Organisation „Vier Pfoten“, die auch in Rumänien aktiv ist, plädiert stattdessen für eine konsequente Sterilisierung, die Tiere seien dann auch nicht mehr aggressiv.

Einer der Hunde, die an dem tödlichen Angriff auf den vierjährigen Ionut beteiligt waren, ist nach Behördenangaben inzwischen identifiziert: Er war sterilisiert. Außerdem trug er einen Chip im Ohr, der ihn als Eigentum einer Bukarester Tierschutzorganisation namens Caleidoscop ausweist. Der Verein hatte den Hund 2008 adoptiert und war somit für ihn verantwortlich. Gegen zwei Mitglieder des Vereins wird deshalb jetzt wegen Mordes ermittelt.


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