Polen

Wirtschaftswunderland Polen droht der Absturz

Die Polen gelten als „Europameister des Optimismus“. In Stimmungsstudien belegen sie regelmäßig vordere Plätze. Auch ihre materielle Situation bewerten viele Polen als gut. Die Zuversicht dürfte dem Daueraufschwung der vergangenen zehn Jahre geschuldet sein. Seit dem EU-Beitritt 2004 kannte die Wirtschaft des Landes nur eine Richtung: bergauf. Im weltweiten Krisenjahr 2009 war Polen der einzige EU-Staat mit Wachstum. „Wir sind den stärksten Volkswirtschaften des Kontinents auf den Fersen“, erklärte Ministerpräsident Donald Tusk damals vollmundig.

Der Premier kündigte nach seiner Wiederwahl 2011 ein weltweit viel gelobtes Reformprogramm an. Die Rente mit 67 setzte er schnell durch. Auch das Steuerrecht und das Gesundheitssystem sollten grundüberholt werden. Die großen US-Ratingagenturen belohnten den Mut mit deutlichen Aufwertungen. Polnische Staatsanleihen entwickelten sich zu einem Renner auf den Finanzmärkten und legten innerhalb eines Jahres um fast 20 Prozent zu.


Rating nur noch "stabil"

Doch nach dem Aufbruch droht ein Absturz. Die Krisenzeichen am Horizont mehren sich. Ende August senkte die Ratingagentur Fitch ihren Ausblick für Polen von „positiv“ auf „stabil“. Die „fiskalische Glaubwürdigkeit“ des Landes habe sich verschlechtert. Die Regierung in Warschau hatte zuvor die erste Stufe der Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Weitere Strukturreformen legte Tusk ebenso auf Eis wie den angestrebten Beitritt zur Euro-Zone.

Stattdessen sollen höhere Staatsschulden helfen, Wachstum zu erzeugen. Die Konjunktur kommt seit Monaten nicht auf Touren und dürfte 2013 mit nur noch rund einem Prozent auf den niedrigsten Stand seit der Jahrtausendwende fallen. Tusk gibt sich überzeugt, dass „wir 2014 die Trendwende schaffen“. Aber es könnte auch anders kommen. Polen droht ein Szenario wie in den Schwellenländern Indien, Brasilien, Südafrika und vor allem der Türkei.

Dort zogen Anleger in den vergangenen Wochen massiv Kapital ab, nachdem sich das Wachstumstempo verringert hatte und zugleich das Vertrauen in US-Bonds und Euro-Anleihen wieder gestiegen war. Polnische Papiere sind von der Krise der Emerging Markets vorerst nicht betroffen. Doch das kann sich schnell ändern und hätte in Polen eine ähnlich verheerende Wirkung wie in der Türkei.


Wirtschaftswunder hat Zauber verloren

In beiden Ländern ist die Sparquote extrem niedrig. Sie sind deshalb auf ausländisches Kapital angewiesen. Der Konsumrausch hilft zwar der Binnennachfrage. Fließt jedoch Kapital ab, verteuern sich Kredite. Das Wachstum würde weiter ausgebremst. Die Arbeitslosigkeit dürfte rasant zunehmen, denn befristete Beschäftigung ist in Polen weit verbreitet.

Noch ist nicht ausgemacht, ob Polen in einen Teufelskreis des Niedergangs gerät oder ob sich das Land der Optimisten wieder stabilisieren kann. Anders als die Türkei hat der mitteleuropäische EU-Staat eine solide Leistungsbilanz. Vor allem der Export nach Deutschland und in andere zahlungskräftige westliche Länder ist hoch. Fest steht jedoch: Das polnische Wirtschaftswunder hat seinen Zauber vorerst verloren.


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