Femen im Visier der Justiz
Vor zwei Wochen wurde Anna Hutsol das letzte Mal verprügelt. Mehrere Männer überfielen die 29 Jahre alte Frau in Odessa, jemand schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. „Daran habe ich mich schon gewöhnt“, sagt Hutsol. Sie gründete und leitet die Frauengruppe Femen, die für ihre schrillen Oben-Ohne-Proteste bekannt ist. Die Frau mit den roten Haaren und dem blauen Strickpulli sitzt im Café Kupidon in Kiew, ihre Stimme klingt ernst, denn ihr droht ein Strafverfahren, vielleicht sogar Gefängnis.
Am Dienstag hatte die Polizei das Hauptquartier von Femen in Kiew durchsucht. Beamte beschlagnahmten eine Pistole aus dem zweiten Weltkrieg, eine Handgranate sowie Flugblätter, die den russischen Präsidenten Putin und den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill unter einem Fadenkreuz zeigen. Nun ermittelt die Polizei gegen Hutsol und weitere Femen-Mitglieder wegen illegalen Waffenbesitzes. Bei einer Verurteilung drohen den Frauen bis zu fünf Jahre Haft.
Femen bestreitet, die Waffen und Flugblätter besessen zu haben. Die Durchsuchung sei wie „in einem Theaterstück“ inszeniert gewesen, wehrt sich die Frauenorganisation. Um 13 Uhr klingelten zwei Polizisten an der Tür des Femen-Quartiers in der Michailowski Straße. Ein anonymer Anrufer habe vor einer Bombe gewarnt, sagten die Milizionäre, deshalb müsse das Haus auf Sprengstoff durchsucht werden. Dann rückten rund zwanzig Bombenentschärfer und Kriminalbeamte an. Laut Hutsol hätte das Kommando die Femen-Räume fünf Minuten lang ohne Zeugen durchsucht. Danach habe die Polizei die Räume noch einmal durchkämmt, diesmal in Anwesenheit der Femen-Frauen.
„Die Miliz lief sofort zu dem angeblichen Versteck, hinter einer Klappe unter der Decke holte sie Waffen und einen Stapel Flugblätter hervor“, berichtet Hutsol. Die Polizei hätte die angeblichen Beweise bei der ersten Durchsuchung dort deponiert, sagt die Femen-Leiterin weiter. Auch hätten die Beamten nur in den Räumen von Femen nach Sprengstoff gesucht, die anderen Wohnungen in dem viergeschossigen Altbau aber ignoriert.
Auch die Flugblätter mit den Bildern von Putin und Kyrill seien gefälscht. Die Flyer spielen auf den Besuch des russischen Kirchenoberhaupts Ende Juli in Kiew an. Femen-Frau Alexandra Schewtschenko hatte sich am Flughafen kreischend vor den Patriarchen geworfen, auf ihrem nackten Oberkörper waren die Worte „Tötet Kyrill“ gepinselt. Mit der Aktion habe man auf die inhaftierten Sängerinnen der Punkband Pussy Riot aufmerksam machen wollen, erklärte Femen.
Anna Hutsol macht den ukrainischen Geheimdienst SBU für die Razzia verantwortlich. „Die Regierung will uns loswerden, weil wir den Ukrainern zeigen, wie Demokratie funktioniert“, sagt die Femen-Gründerin. Es wäre nicht das erste Mal, dass Femen der Sicherheitsbehörde im Weg steht. Vor drei Jahren klingelten Männer in schwarzen Lederjacken an Hutsols Haustür, wiesen sich als SBU-Mitarbeiter aus und drohten mit Prügel, falls Femen eine geplante Demonstration nicht absagt. Später sei Hutsol bedrängt worden, alle Femen-Aktionen dem Geheimdienst im Voraus mitzuteilen. Nur während der Fußball-EM habe der SBU Femen in Ruhe gelassen, „weil die Regierung negative Presse fürchtete“, vermutet Hutsol.
Doch in diesem Jahr häufen sich Gewaltexzesse gegen Femen. Ende Juli verprügelten Unbekannte den Unterstützer Viktor Swatskij, kurz darauf wurde Anna Hutsol vor ihrem Wohnhaus in Kiew zusammengeschlagen. Am selben Abend überfielen die Angreifer Hutsol erneut und rissen der Femen-Leiterin den Laptop aus der Hand. „Ich glaube, dass der Geheimdienst hinter den Attacken steht“, sagt Hutsol. Einschüchtern lassen will sie sich nicht. Das blaue Auge vom letzten Überfall ist schon verheilt.