Polen

Zerreißprobe für Tusks Regierungspartei

Zerreißprobe für Tusks Regierungspartei

Die polnische Regierungspartei Bürgerplattform liegt in Umfragen hinter der erzkonservativen PiS. Innerparteiliche Rivalen versuchen, Regierungschef Tusk zu verdrängen. Der konservative Flügel droht sich abzuspalten. Zerbricht die Bürgerplattform? (4.400 Zeichen)

Den Zahlen nach sieht Donald Tusk, Premier Polens und Parteichef der regierenden Bürgerplattform (PO), wie der klare Sieger aus. Fast 80 Prozent der Parteimitglieder haben ihn am Freitag als Parteichef bestätigt, sein Gegenkandidat, der konservative Ex-Justizminister Jaroslaw Gowin, erhielt nur gut 20 Prozent der Stimmen.

Dennoch ist die Wahl womöglich eine Zäsur. Denn die Tatsache, dass sich ein Gegenkandidat bei einer Urabstimmung um den Parteivorsitz beworben und ein respektables Ergebnis erzielt hat, rüttelt an der Position des seit sechs Jahren regierenden und bis vor kurzem unangefochtenen Premiers. Auch die geringe Wahlbeteiligung von 51 Prozent führen viele auf den schwindenden parteiinternen Rückhalt Tusks zurück.

Die Wahl in der Mitte der Legislaturperiode fällt in eine Phase des internen Streits und der Orientierungslosigkeit in der Regierung aus PO und ihrem kleinen Koalitionspartner, der Bauernpartei PSL. In Umfragen liegt die PO hinter der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski. Während die PO bei der Wahl 2011 noch 39 Prozent der Stimmen erhielt, dümpelt sie manchen Umfragen zufolge aktuell zwischen 24 und 30 Prozent Zustimmung, die PiS liegt bei 35 bis 40 Prozent. Andere Umfragen sehen beide Parteien etwa auf Augenhöhe.

Jaroslaw Kaczynski und seine Getreuen haben ihre Verschwörungsrhetorik rund um das Flugzeugunglück in Smolensk, bei dem 2010 Präsident Lech Kaczynski und andere prominente Polen starben und das über Jahre die politische Debatte in Polen dominierte, mittlerweile in den Hintergrund gerückt. Die PiS gibt sich nun seriös-staatstragend und geht etwa mit der Gewerkschaft Solidarnosc ein Bündnis gegen die Rente mit 67 ein.

Kritiker in und außerhalb der PO führen das Umfragetief auch auf Entscheidungen zurück, die am wirtschaftsliberalen Kern der Partei rütteln. So erwägt die Regierung vor dem Hintergrund wachsender Staatsverschuldung, die 1999 eingeführte obligatorische private Rentenversicherung OFE zu stutzen, und hat vor einigen Wochen die Schuldenbremse für den Staatshaushalt vorübergehend ausgesetzt.

In gewisser Weise gibt es Analogien zur deutschen CDU. Hier wie da lässt sich eine „Sozialdemokratisierung“ der konservativen Parteien beobachten. Doch anders als der CDU gelingt es der polnischen PO kaum, ihren rechten Flügel trotz innerer Spannungen zu domestizieren. Zudem bewegt sich die PO relativ schnell in Richtung wirtschaftspolitische Mitte, während dies bei ihren Wählern wesentlich langsamer und in geringerem Maße geschieht. Vor allem die Stammwähler der PO, die Gewinner des polnischen Transformationsprozesses, sehen den zunehmend weniger wirtschaftsliberalen Kurs kritisch.

Zugleich wollen viele dem gemäßigt liberalen Kurs der PO in gesellschaftspolitischen Fragen nicht folgen – zum Beispiel der jüngst gescheiterten Gesetzesinitiative zur Besserstellung gleichgeschlechtlicher Paare. Daher können die Mitte-Links-Parteien kaum Boden gutmachen, daher auch erhält Tusks innerparteilicher Widersacher Gowin, der für wirtschaftlichen Liberalismus bei zugleich streng konservativer Haltung in weltanschaulichen Fragen steht, relativ viel Zustimmung.

In Polen haben in den vergangenen Jahrzehnten einige abtrünnige Parteikader nach internen Flügelkämpfen erfolgreich neue Parteien gegründet – auch die PO entstand 2002 auf Trümmern zweier bis 2001 regierenden Parteien. Ex-Justizminister Gowin weist Spekulationen über eine geplante Parteigründung bislang zwar zurück, zugleich kündigt er aber „Gespräche mit verschiedenen Gruppierungen“ an – womit er nur die Parteien rechts der PO meinen kann.

Gowin möchte offensichtlich nicht von alleine gehen. Kommentatoren vermuten, dass er mit einem Rauswurf durch Tusk als „Märtyrer“ besser bedient wäre. Tusk steckt in einem Dilemma: „Es schickt sich nicht, Gowin aus der Partei rauszuwerfen. Aber es mit ihm auszuhalten, ist unmöglich“, schreibt die liberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.

Nutznießer des Konflikts könnte der Ex-Fraktionschef der Bürgerplattform, Grzegorz Schetyna, sein. Der einstige enge Tusk-Vertraute schart seit Jahren innerparteiliche Anhänger um sich und ist regional gut vernetzt. Schetyna arbeitet dezenter, aber dadurch womöglich erfolgversprechender am gleichen Ziel wie Gowin – der Ablösung Tusks. Die scheint noch in dieser Legislaturperiode wahrscheinlicher denn je, sollten die Umfragewerte weiter auf Talfahrt gehen.


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