Polen

Stalintreu im Oderbruch

Die weiß-grüne Fähre legt in Güstebieser Loose ab und überquert in wenigen Minuten die Oder. Die Fähre pendelt seit 2007 zwischen der deutschen und polnischen Oderseite. 25 Jahre nach der Wende und fast 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind die beiden Fischerdörfer Güstebieser Loose und Gozdowice so gut verbunden wie kaum zwei andere Orte an der Oder – die Touristenfähre ist einmalig entlang der deutsch-polnischen Grenze. Dennoch fühlt man sich auf der polnischen Seite schlagartig in den Kalten Krieg zurückversetzt.


Eigentlich sind die Symbole strafbar

Auf der polnischen Seite, in Gozdowice, ragt ein Pioniermonument aus dem Boden: Ein Soldat schreitet in Richtung Berlin, in der einen Hand hält er ein Maschinengewehr, in der anderen einen Rettungsring. Daneben steht ein Pioniermuseum aus Sowjetzeiten. „Das ist einmalig in Polen“, sagt ein älterer Passant stolz.


Gozdowice ist in einer Stunde von Berlin mit dem Auto erreichbar. Übernachtungen empfehlen sich in dem benachbarten Städtchen Moryn, Mieszkowice und Cedynia:

Hotel Victoria Moryn
http://www.hrvictoria.pl/

Hotel Mroz, Mieszkowice
http://www.ckwmroz.pl/

Hotel Klasztor, Cedynia
http://www.klasztorcedynia.pl/


Kommunistische Symbole sind seit 1989 fast vollständig aus polnischen Orten verschwunden. Die Verherrlichung des Kommunismus ist nach polnischem Recht sogar strafbar. Doch Gozdowice und andere kleine Orte entlang der deutschen Grenze weigern sich bis heute, Ehrenmale und Monumente aus dem Sozialismus zu entfernen. Bis heute feiert die 130-Seelen-Gemeinde am 20. April den Jahrestag der Oder-Überquerung durch die Rote Armee. Schüler aus Gozdowice und Veteranen der Ersten Polnischen Armee, die am Ende des Krieges an der Seite der Roten Armee kämpfte, legen dann am Pioniermonument Kränze nieder und feiern ein ums andere Mal den Sieg über das faschistische Deutschland.


Pioniere überall

In den letzten Kriegsmonaten war die Oder-Neiße-Linie hart umkämpft. Die Erste Polnische Armee hatte sie im Februar 1945 durchbrochen und für die Rote Armee geöffnet. Nach 1945 fiel die östliche Oderseite Polen zu. Wie viele andere Orte entlang der Grenze wurde auch Gozdowice zum nationalen Ehrenmal: Die von den Deutschen erbauten Hotels, das Theater und das Standesamt wurden abgerissen oder umgewandelt. Die Statue von Friedrich dem Großen wich dem Pioniermonument, im Haus nebenan, wo einst das polnische Kommando stationiert war, befindet sich heute das Pioniermuseum.

„Die Kommunisten füllten die von den Deutschen hinterlassene Lücke mit ihrer Symbolik“, erklärt Andrzej Kirmiel. Der Historiker leitet das Stadtmuseum in Miedzyrzecz rund 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Viele der heutigen Bewohner stammen ursprünglich aus den polnischen Ostgebieten. Sie wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg von dort an die Westgrenze umgesiedelt und bezogen die Häuser der vertriebenen Deutschen.


Die Regierung beißt sich am Starrsinn der Bevölkerung die Zähne aus

Entlang der Oder-Neiße-Grenze wimmelt es bis heute von kommunistischer Propaganda. Entlang der sogenannten Pionierroute kann man die kommunistischen Spuren mit dem Fahrrad erkunden. Der Bildungspfad fängt im Dorf Czelin (ehemals Sellin) etwa drei Kilometer südlich von Gozdowice an und führt entlang der Oder im polnischen Teil des Oderbruchs zu etwa 15 Kilometer entferntem Dorf Siekierki (ehemals Zäckerick).

In Czelin, wo heute ein rund vier Meter hohe Säule aus Stein steht, soll ein polnischer Pionier bereits Anfang 1945 eine Art visionären Grenzpfahl aufgestellt haben – mehrere Monate, bevor die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 die Verschiebung der polnischen Grenze an der Oder-Neiße-Linie beschlossen. In Siekierki steht bis heute ein Panzer der Roten Armee, in der dortigen Museumsstube sind Gegenstände von der Frühjahroffensive 1945 zur Schau gestellt. Auf dem Armeefriedhof ruhen 2.000 gefallene Soldaten.

Die Regierung in Warschau versucht seit Jahren, Polens Westen von den kommunistischen Relikten zu befreien. Bislang vergeblich: Als die national-konservative Regierung unter Lech Kaczynski in den Jahren 2006 und 2007 ein polnisch-sowjetisches Freundschaftsdenkmal in Szprotawa (Sprottau) etwa 25 Kilometer von der Grenze zur Lausitz entfernt beseitigen wollte, hielten aufgebrachte Bürger Tag und Nacht Wache. In Keszyca (Kainscht) gründeten die Dorfeinwohner sogar ein Komitee gegen die Abbaupläne eines monströsen Funker-Monuments aus Gips.


Früher war alles besser

Der Grund, warum so viele Bürger an der totalitären Vergangenheit festhalten, liegt in der Gegenwart. „Vielen hier ging es im Kommunismus besser als heute. Die kommunistischen Symbole erinnern an die gute alte Zeit“, erklärt der Autor und Verleger Florian Firlej, der sich seit Jahren mit der Geschichte der Region beschäftigt. Polens Westen war ein Gewinner des Kommunismus: Bis 1989 befanden sich an der Grenze zu Deutschland zahlreiche Garnisonen und Truppenübungsfelder, die Bauernhöfe der deutschen Junker waren nach dem Zweiten Weltkrieg zu riesigen staatlichen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) umgewandelt worden. „Nach der Wende wurden die Kasernen und Landwirtschaftsbetriebe aufgelöst. Viele Menschen verloren ihre Arbeit“, sagt Firlej. Bis heute sind die westlichen Grenzgebiete Hochburg der postkommunistischen Linken.

Selbst das „Institut des Nationalen Gedenkens“, das in Polen ähnlich wie die deutsche Stasi-Unterlagen-Behörde für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur zuständig ist, kann sich bislang nicht durchsetzen. Mitarbeiter Maciej Korkuc verschickte vor ein paar Jahren Mahnbriefe an die Bürgermeister. Doch die ignorierten die Briefe oder lehnten die Aufforderungen ab, Monumente abzureißen oder Straßen umzubenennen. „Die Stadträte sehen derzeit keine Notwendigkeit, den Straßennamen Swierczewski zu ändern“, begründete beispielsweise der Stadtsekretär von Torzym (Sternberg) seine Entscheidung. Der Name des stalintreuen Generals steht bis heute an mehreren Straßenschildern im westlichen Grenzgebiet. Korkuc gab die Mahnungsaktion auf.


Hier hat Stalin gesiegt

Der Behördenmitarbeiter hofft jetzt auf ein neues Gesetz, das die Kommunen dazu zwingt, kommunistische Straßennamen und Gedenkstätte zu entfernen. Es liegt allerdings schon seit zwei Legislaturperioden beim Senat. „Es ist Aufgabe des Staates einzugreifen, wenn Vertreter eines totalitären Systems und ihre Opfer verehrt werden“, sagt der Historiker.

Doch mittlerweile setzen einige Bürgermeister nicht mehr nur auf die Nostalgie ihrer Wähler. Sie wollen die Monumente für Marketingzwecke nutzen. „Wir könnten eine Touristenattraktion daraus machen“, schlägt Dariusz Kuczynski vor, der Stadtsekretär von Cybinka (ehemals Ziebingen) rund 20 Kilometer von Frankfurt an der Oder. Damit meint der Sekretär eine Stalin-Gedenktafel auf einem nahe gelegenen Rotarmistenfriedhof – wohl die letzte Stalin-Tafel in Polen. „Wir werden siegen“, prophezeit die russische Inschrift in Bronze.


Weitere Artikel