Ungarn

Roma-Hass in Osteuropa nimmt zu

In Ungarn herrscht seit Wochen sengende Hitze, die Temperaturen erreichen tagsüber bis zu 40 Grad im Schatten. Überall im Land werden die Menschen aufgerufen, genug zu trinken, in Budapest lässt die Stadtverwaltung sogar gratis Wasser verteilen.

Anders in der nordostungarischen Stadt Ozd: Dort ließ der rechtsnationale Bürgermeister Pal Fürjes, Mitglied der Regierungspartei Fidesz, vergangene Woche einen Teil der öffentlichen Wasserhähne sperren, an anderen den Wasserdruck stark verringern – und zwar in den Vierteln, in denen Roma wohnen. Die Begründung: Dort werde Wasser in „industriellen Mengen verschwendet“.

Der „Wasserskandal von Ozd“ steht in Kontrast zu einem anderen Ereignis in Ungarn: die Verurteilung der rechtsterroristischen Roma-Mörder zu lebenslanger Haft am Dienstag. Sie hatten 2008/2009 bei heimtückischen Anschlägen sechs Roma ermordet und Dutzende schwer verletzt.

Der Minister für Humanressourcen Zoltan Balog versprach nach dem Urteils zwar, seine Regierung werde mit aller Entschiedenheit gegen Rassenhass vorgehen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Regierungsmehrheit unter Ministerpräsident Viktor Orban verfolgt eine Politik, die sich, ohne die Roma konkret zu benennen, gezielt gegen sie richtet.

Viele der rund 800.000 Roma in Ungarn sind Sozialhilfeempfänger, ihnen können Leistungen gestrichen werden, wenn sie keine gemeinnützige Arbeit verrichten oder zuhause keine Ordnung und Sauberkeit halten. Auch erwägt die Regierung, spezielle Schulen für Roma-Kinder wiedereinzuführen. Sie kann sich dabei der Zustimmung eines großen Teils der Ungarn sicher sein. Viele sehen Roma als Schmarotzer oder Kriminelle.

Dabei handelt es sich keineswegs um ein ungarisches Phänomen. Überall in osteuropäischen Ländern mit großen Roma-Minderheiten nimmt der Antiziganismus stark zu. Ähnlich wie in Ungarn marschieren auch in Tschechien regelmäßig Neonazis gegen Roma auf, tschechische Behörden warnen davor, dass sich der Roma-Hass bis weit in die Mittelklasse ausbreitet. Gegen eine Frau, die Anfang Juni Fünflinge geboren hatte und zunächst als „Supermama“ gefeiert wurde, läuft im Internet seit Wochen eine Hetzkampagne – weil sie Romni ist. Der Tenor: Die Kinder kämen der Familie gerade gelegen, sie könnten bequem vom Kindergeld leben und würden nie wieder arbeiten.

In einem Viertel der ostslowakischen Stadt Kosice (Kaschau), europäische Kulturhauptstadt 2013, wurde Anfang Juli eine Mauer errichtet, um ein Roma-Ghetto von benachbarten Wohnhäusern abzugrenzen. Es war die vierzehnte derartige Mauer in der Slowakei, die Roma von „weißen“ Nachbarn trennt. In Rumänien siedeln Lokalbehörden zunehmend Roma in Containeranlagen am Stadtrand um. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr erzielte der Bürgermeister der nordrumänischen Stadt Baia Mare ein Rekordergebnis, weil er Roma aus einem Elendsviertel in ein giftverseuchtes Gebäude verfrachtet hatte. In Bulgarien kam es im Herbst 2011 zu landesweiten Ausschreitungen gegen Roma – Anlass war der Tod eines Bulgaren bei einem Verkehrsunfall, den ein Rom verursacht hatte.

Hintergrund dieser Entwicklung sind die zunehmend auseinanderklaffenden Lebenswelten der Mehrheitsgesellschaft und der Roma in der Wirtschaftskrise und angesichts vielfach gescheiterter Transformationsprozesse. Die Roma gehören überall zu den Ärmsten, viele sind arbeitslos und haben keine Schulbildung. Gleichzeitig fürchten immer mehr Angehörige der Mittelklasse den sozialen Abstieg – in Ungarn wurde dafür der demütigende Begriff der „Zigeunerisierung“ der Mittelklasse erfunden. Der antiziganistischen Stimmung sehen Regierungen tatenlos zu oder machen sie sich zunutze, um von drängenden sozialen und politischen Problemen abzulenken.

Um dem Elend und der Diskriminierung zu entkommen, fliehen seit Jahren Roma aus Osteuropa in den Westen – doch auch dort sind sie nicht willkommen, wie zuletzt die Kampagne des deutschen Innenministers Hans-Peter Friedrich gegen sogenannte Armutsmigranten zeigte. Die für Grundrechte zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding richtete vor kurzem ein Alarmsignal an die Mitgliedstaaten. Nicht nur im Osten, sondern in allen EU-Ländern müsse mehr dafür getan werden, dass sich die Lage der Roma verbessere. Leider, so Reding, gebe es bisher „eine große Lücke zwischen Versprechen und Taten“.


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