Ungarn

Lebenslang für Roma-Mörder

Ein winziger Gerichtssaal, in den bei Gedränge 150 Menschen passen. Der Blick fällt nach unten wie in eine Arena. Dort sitzen, ebenfalls gedrängt, Richter, Staatsanwalt, Anwälte, Angeklagte und Polizisten. Wenn die Opfer aussagen, stehen die Täter einen Meter hinter ihnen. Und wenn die Prozessbeteiligten sprechen, dann so leise, dass meistens nur Satzfetzen zu verstehen sind.

Unter diesen Bedingungen fand zweieinhalb Jahre lang und über fast 180 Verhandlungstage hinweg einer der wichtigsten Prozesse der ungarischen Nachkriegsgeschichte statt: der Prozess gegen die so genannten „Romamörder“ – vier rechtsextreme Männer, denen zur Last gelegt wird, 2008/2009 sechs Roma ermordet und 55 Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil lebensgefährlich verletzt zu haben. Es war eine in der ungarischen Nachkriegsgeschichte einmalige rassistische Anschlags- und Mordserie, bei der die Täter mit besonderer Heimtücke vorgingen: In den meisten Fällen zündeten sie die Häuser der Opfer zunächst an und schossen dann auf die Flüchtenden.


Die Verurteilten sind keine Einzeltäter

Die Angeklagten bestritten die Taten bis zuletzt, doch an ihrer Schuld bestand kaum Zweifel. So etwa ist via DNA-Nachweis belegt, dass sie an den Tatorten waren und geschossen haben. Auch das Gericht war von der Schuld der Angeklagten überzeugt - heute fiel das erstinstanzliche Urteil gegen die Täter: Drei von ihnen, die Brüder Arpad und Istvan Kiss sowie Zsolt Petö, erhielten so genannte „tatsächlich lebenslängliche“ Freiheitsstrafen, werden also, wenn das Urteil rechtskräftig ist, Zeit ihres Lebens in Haft bleiben. Die Anwälte der drei Verurteilten kündigten Berufung an. Der vierte Angeklagte, Istvan Csontos, wurde als Komplize zu 13 Jahren Haft verurteilt.

„Die Schwere des Urteils ist den Taten völlig angemessen“, kommentiert der Roma-Bürgerrechtler und langjährige Prozessbeobachter Aladar Horvath das Urteil. „Unangemessen ist leider die Einstufung der Straftaten als schlichter Mord aus niederen Beweggründen. In der Anklageschrift stand, dass die Mörder einen Bürgerkrieg entfachen wollten. Sie hätten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Terrorismus mit dem Ziel des Völkermordes angeklagt werden müssen.“


Einige Morde hätten verhindert werden können

Tatsächlich sind die vier Verurteilten keine isolierten rechtsextremen Einzeltäter. Sie waren in der ostungarischen Großstadt Debrecen, wo sie im August 2009 auch gefasst wurden, in breite rechtsextreme und neonazistische Netzwerke eingebunden und verübten die Morde im Zuge des erstarkenden Rechtsextremismus in Ungarn. Sie begriffen sich offenbar, wie sie in Interviews nach ihrer Verhaftung durchblicken ließen, als Vorhut einer Bewegung, die sich die „Lösung des Zigeunerproblems“ zum Ziel gesetzt hatte. Im Ort Tatárszentgyörgy beispielsweise, in dem die „Roma-Mörder“ im Februar 2009 einen Vater und seinen vierjährigen Sohn erschossen, als diese aus ihrem brennenden Haus flüchteten, waren nur Wochen vor dem Mord Hundertschaften der paramilitärischen rechtsextremen „Ungarischen Garde“ aufmarschiert, um die örtlichen Roma einzuschüchtern.

Hätten die ungarischen Ermittlungsbehörden den sich frühzeitig abzeichnenden rechtsextremen Hintergrund der Anschlags- und Mordserie ernstgenommen, hätten einige Anschläge und Morde möglicherweise verhindert werden können. Dabei sind Paralellen zum NSU und seiner Mordserie verblüffend: Zwei der ungarischen Rechtsterroristen wurden bis 2008 wegen rechtsextremistischer Aktivitäten geheimdienstlich überwacht, kurz vor Beginn der Mordserie wurde die Überwachung abgebrochen. Ein weiterer Angeklagter war noch während der Mordserie Informant des Militärgeheimdienstes. Doch Ungarns Geheimdienste schweigen bis heute über ihre Rolle bei den Morden.

Nicht die einzige Merkwürdigkeit: Beispielsweise tauschten Ermittlungsbehörden Erkenntnisse nicht rechtzeitig aus, teilweise wurden Tatorte nicht gesichert, DNA-Beweise ergeben, dass mindestens ein Täter und ein Komplize noch auf freiem Fuß sind. Der ehemalige liberale Parlamentsabgeordnete Jozsef Gulyas, der 2009/2010 Mitglied eines Untersuchungsausschusses zur Mordserie war, wirft den Ermittlungsbehörden „massive Schlampereien“ vor, glaubt allerdings nicht daran, dass Beamte bewusst etwas vertuschen wollten. „Der Staat und die Behörden möchten das Ganze jetzt am liebsten schnell abschließen“, sagt Gulyas.

Eva Koka tröstet das Urteil nicht. Ihr Mann Jenö wurde am 22. April 2009 im ostungarischen Dorf Tiszalök regelrecht hingerichtet – mit einem Schuss aus dem Hinterhalt, abends, als er aus der Tür trat und zur Nachtschicht wollte. Kein Vertreter des Staates hat Eva Koka jemals die Hand gedrückt oder ein Wort des Mitgefühls ausgesprochen, auch staatliche Hilfe hat die Witwe nach dem Mord nicht bekommen. Ihre Arbeit in einer Holzfabrik hat sie nach dem Mord aufgegeben, sie lebt bei ihren Kindern, ihr Anwalt Laszlo Helmeczy unterstützt sie finanziell, weil sie nur knapp 100 Euro Rente monatlich erhält. „Die Mörder haben nicht nur meinen Mann umgebracht“, sagt Eva Koka. „Sie haben auch mich zerstört.“


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