Rumänien

Von Papenburg im Sarg zurück nach Rumänien

Am 9. Juli rief Gelu Grigore in Papenburg an und gratulierte seinem jüngeren Bruder Florin zum 32. Geburtstag. „Vor allem viel Geld habe ich ihm gewünscht. Und viel Erfolg im neuen Job.“ Vier Tage später klingelte bei Gelu in Lacu Sarat das Telefon. Florin Grigore war tot. Das Haus, in der er zusammen mit elf weiteren rumänischen Arbeitern geschlafen hatte, war ausgebrannt, der junge Mann und ein 45 Jahre alter Kollege konnten sich nicht mehr retten.

Erst Ende Mai hatte Florin seinen Heimatort verlassen, um als Schweißer auf der Meyer-Werft in Papenburg zu arbeiten. Jetzt liegt seine Leiche auf dem Tisch, mitten im Flur, in einem versiegelten Sarg mit einer knappen deutschen Aufschrift. Seine Eltern und sein Bruder hätten es sich gewünscht, nach rumänischer Tradition die Leiche zu sehen, um Abschied zu nehmen. Doch das geht nicht: Der Körper ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.


Wie konnte das passieren - ausgerechnet in Deutschland?

Angela und Simion Grigore, Florins Eltern, sind bestürzt über das Geschehene. „Wir können nicht fassen, wie so etwas unserem Sohn passieren könnte – ausgerechnet in Deutschland“, sagt der Rentner. In seinen blauen Augen mischen sich Wut und Enttäuschung. „Jetzt ist noch die Zeit der Trauer. Nach der Beerdigung werden wir uns aber um die offenen Fragen kümmern müssen. Eine Rechtsanwältin wird uns dabei helfen.“

Drückende Hitze herrscht über dem ostrumänischen Dorf, der Asphalt schmilzt unter den Schuhen. Die Silhouetten der Pappeln, die sich auf beiden Seiten der Landesstraße reihen, sehen verzerrt aus in der heißen Luft. Hinter den Gärten streckt sich die Walachische Tiefebene mit ihren Disteln in grüngelben Weizenfeldern. Ein weißer Kirchturm ragt über den Häusern auf, der Dorfpriester wird bald kommen und Florin Grigore beisetzen.

Die Kreishauptstadt Braila und die Donau liegen nur zehn Kilometer von Lacu Sarat entfernt. Der Salzsee, der dem Ort seinen Namen gibt, zog vor der Wende Touristen aus ganz Rumänien an. „Als Kinder gingen Florin und ich fast jeden Tag schwimmen“, erinnert sich der Bruder Gelu. „Da musste man keine Angst haben, der hohe Salzgehalt lässt einen nicht untergehen.“


Der Perspektivlosigkeit entkommen

Seit den 1990-er Jahren hatten die Kommunen kein Geld mehr, die alten Ferienlageranlagen verfielen. „Nur noch wenige, ältere Besucher aus Braila kommen zu uns für einen Kuraufenthalt“, erzählt Bürgermeister Ion Craciun. Die Kreishauptstadt war früher ein wichtiger Standort der Schwerindustrie mit einem großen Metallverarbeitungswerk, eigener Werft und Handelshafen. Als die staatlichen Unternehmen nach der Wende schlossen, wurden die Bewohner von Braila und den benachbarten Dörfern arbeitslos. Die Werft wurde privatisiert, Arbeitsplätze gibt es dort nur noch für einen Bruchteil der ehemaligen Beschäftigten.

„Die meisten sehen hier keine Perspektive mehr, und das ist seit Jahren so“, bekräftigt Florins Bruder Gelu Grigore. Er selber hat eine Baufirma gegründet, die in den Jahren um Rumäniens EU-Beitritt 2007 lukrativ war. Dort hat sein Bruder eine Schweißerlehre gemacht, dort hat er später gearbeitet. Doch als 2009 die Immobilienblase platzte, brach der Umsatz des Familienunternehmens dramatisch ein. Die darauffolgende Wirtschaftskrise hält Rumänien bis heute im Griff. „Wir versuchen, uns über Wasser zu halten, aber viele gehen. Mein Bruder war kein Einzelfall“, sagt Gelu Grigore.

In den vergangenen zehn Jahren zogen über 50.000 Einwohner weg aus dem Landkreis Braila – rund 15 Prozent der Bevölkerung. Bukarest, das nur 200 Kilometer entfernt liegt, bot einigen bessere Chancen auf eine Stelle. Andere gingen nach Westeuropa. Mittlerweile leben viele Menschen aus der Gegend vor allem in Italien und Spanien, die kulturelle und sprachliche Ähnlichkeit erleichtert die Integration deutlich. „Das Problem ist, dass es jetzt auch dort keine Arbeit mehr gibt“, stellt Bürgermeister Craciun fest. So kommt es, dass immer öfter Deutschland als Ziel in Betracht gezogen wird.


Dumpinglöhne auf der Meyer-Werft

Vier weitere Männer aus Lacu Sarat arbeiten aktuell noch auf der Meyer-Werft in Papenburg. Keiner von ihnen dachte, dass er sich mit dieser Stelle eine goldene Nase verdienen wird. „Doch die Stelle schien viel besser zu sein als eine ähnliche in Rumänien, die es sowieso kaum gibt“, sagt einer der vier, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Von acht Euro die Stunde bar auf die Hand kann man in Braila und auch in Bukarest nur träumen“, bekräftigt auch Gelu Grigore.

Diesen durchschnittlichen Stundenlohn versprach die Bordo Mavi SRL, die rumänische Firma, die Florin Grigore und seine Kollegen offiziell anstellte und nach Papenburg schickte. „Keiner mit einer entsprechenden Ausbildung würde so ein Angebot ablehnen“, sagen sie in Lacu Sarat. Im Durchschnitt liegt der Stundenlohn in Rumänien bei knapp 2,20 Euro.

So war auch Florin Grigore schnell überzeugt. Am 24. Mai unterschrieb er einen dreiseitigen Arbeitsvertrag, in dem etwa steht, dass er Anweisungen der Arbeitgeber verantwortungsbewusst umsetzen müsse, dass das Klima in Deutschland kontinental und gemäßigt sei. Und, etwas weiter unten: „Im Todesfall wird der Arbeitnehmer repatriiert.“

Am 28. Mai saß der neue Mitarbeiter im Flugzeug und ging gleich auf die Werft. Dort wurde er in einem alten Mehrfamilienhaus untergebracht, das die Bordo Mavi von der Emder Personalleasingfirma Sahinler GmbH gemietet hat. Beide Gesellschaften agieren als Leiharbeitsunternehmen für die Meyer Werft.

Als nach dem tödlichen Brand die Diskussion um die prekären Wohn- und Arbeitsbedingungen ausbrach, wollte die Sahinler GmbH zunächst nicht einräumen, dass sie die Dienstleistungen einer in Rumänien registrierten Firma in Anspruch nimmt. Ein Blick in Florin Grigores Arbeitsvertrag liefert zumindest zum Teil eine Erklärung dafür: Offiziell bekam der ausgebildete Schweißer einen Bruttolohn von umgerechnet 174 Euro im Monat. Dies entspricht genau dem gesetzlichen Mindestlohn in Rumänien. Darüber hinaus sieht der Vertrag Tagessätze von 35 Euro vor, die kein Teil des Lohns sind: Ein bewährter Trick rumänischer Arbeitgeber, um die Sozialversicherungsbeiträge auf ein Minimum zu reduzieren.

Alle rumänischen Werftarbeiter berichten aber von Stundenlöhnen zwischen sieben und neun Euro, die sich allein bei den vertraglich vorgesehenen Achtstundenschichten auf bis zu 1.500 Euro summieren – was viel mehr ist, als im Arbeitsvertrag von Florin Grigore steht. Zumindest ein Teil der Löhne scheint also nicht nur an den deutschen, sondern auch an den rumänischen Steuerbehörden vorbei gezahlt zu werden. Mehrere rumänische Werftarbeiter geben an, dass Bordo Mavi die Löhne in bar auszahlt, keiner berichtet von Überweisungen auf Bankkonten.


Ein weiteres Haus wird jetzt leer stehen

Vor dem Haus von Florin Grigore sammeln sich Freunde der Familien, Bekannte und Nachbarn. Die älteren Frauen tragen schwarz, bedecken ihre Köpfe. Es werden ein paar Kleinigkeiten, Bier und Wein aus Plastikflaschen serviert, „für die Seele des Verstorbenen“, wie es hier heißt. Drinnen wirkt alles neu und aufgeräumt. Erst kurz vor seiner Abreise war der getrennt lebende junge Mann in das frisch renovierte Haus eingezogen, hatte noch ein Zimmer für den siebenjährigen Sohn eingerichtet, der regelmäßig zu Besuch kommen sollte. Jetzt wird in Lacu Sarat ein weiteres Haus leer stehen.

„Ich bekomme meinen Bruder nicht mehr zurück“, sagt Gelu Grigore. „Aber es ist wichtig, dass die illegalen Vorgehensweisen dieser Firmen aufgeklärt werden. Sowohl hier als auch in Deutschland.“


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