Streit ums Schächten
Grzegorz Marek ist in diesen Tagen viel unterwegs. Er reist durch Polen, um jeden Abgeordneten, der in der Schächtfrage noch schwankt, persönlich zu sprechen. „Wir müssen ihnen klarmachen, dass unsere Existenz auf dem Spiel steht.“ Mareks Firma „Imex“ hat sich auf das Schlachten von Geflügel nach jüdischen und muslimischen Vorschriften spezialisiert. Seit dem 1. Januar ist der Großteil der Belegschaft in Kurzarbeit.
Seit einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts im vergangenen November ist das Schächten in Polen verboten. Die Methode, Rindern, Hühnern oder Schafen bei vollem Bewusstsein die Kehle durchzuschneiden und sie dann kopfüber in einem drehbaren Käfig ausbluten zu lassen, verstoße gegen den in der Verfassung festgeschriebenen Tierschutz. Allerdings garantiert eben jene Verfassung auch die Religionsfreiheit, argumentieren Juden und Muslime im Land. „Unsere religiösen Grundsätze schreiben nun einmal vor, dass Fleisch halal sein muss“, gibt Mufti Tomasz Miskiewicz zu bedenken. „Wir fühlen uns durch das Urteil diskriminiert.“
Der Glaubenskonflikt stürzt die Regierung in einen Gewissenskonflikt. Sie muss eine Neuregelung für das Schächten finden und hat nun einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht. Doch es gibt Gegner in den eigenen Reihen. An die wendete sich Donald Tusk gar persönlich: „Ganz ehrlich: Wenn ich nicht Premierminister wäre und mich daher nicht für den polnischen Arbeitsmarkt verantwortlich fühlen würde, würde ich als Herzensentscheidung sicher dagegen stimmen, Tieren Schaden zuzufügen. Aber als Regierungschef appelliere ich, die vielen Arbeitsplätze zu bedenken, die am Schächten hängen. Jeder davon ist kostbar.“
Laut Branchenverband „Polnisches Fleisch“ stehen rund 6.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Im Jahr 2012 exportierte Polen koscheres und Halal-Fleisch im Wert von 1,3 Milliarden Euro in die ganze Welt. Polen ist damit im Vergleich ein relativ kleiner Player auf dem europäischen Markt, doch für viele Unternehmen war das Schächten lange Zeit eine lukrative Nische. So auch für Malgorzata Podniebinska und ihren Betrieb „Mokobody“. Das Geschäft lief gut. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts kam daher aus heiterem Himmel: „Es kann nicht sein, dass man uns von heute auf morgen die Geschäftsgrundlage entzieht, ohne eine Alternativregelung zu schaffen.“ Bereits unterschriebene Verträge könnten nun nicht eingehalten werden, Geschäftspartner schauten sich demnächst in anderen Ländern um, fürchtet Podniebinska.
Tatsächlich ist das Schächten in fast allen europäischen Staaten erlaubt – wenn auch unter strikten Auflagen. In Deutschland zum Beispiel dürfen nur Schlachtereien mit einer Sondergenehmigung und unter Aufsicht des Veterinäramtes schächten. Doch in Polen erhitzt das Thema die Gemüter. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS haben sich 65 Prozent der Polen gegen das Schächten ausgesprochen. Die Diskussion wird immer emotionaler. Pawel Sajak, Abgeordneter der Oppositionspartei „Ruch Palikota“, fragte seine Kollegen in der Landwirtschaftskommission unlängst: „Wie verhaltet ihr euch denn, wenn morgen religiöse Gruppen ankommen und das Opfern von Babys oder Jungfrauen fordern?“
Am 11. Juli soll erneut Anlauf genommen werden, über das Gesetz im Sejm abzustimmen. Das Ergebnis der Abstimmung ist vollkommen offen, denn die Opposition wird zwar geschlossen dagegen stimmen, doch die Regierungspartei PO ist gespalten. Sicher ist aber, dass Grzegorz Marek seine Belegschaft nicht mehr lange halten kann. Die großen Fleischbetriebe haben bereits angekündigt, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Diesen Schritt kann sich Marek nicht leisten. Er wird wie viele andere kleine Schlachtereien wohl pleitegehen.