Ungarn

„Fidesz hat Obdachlosigkeit unter Strafe gestellt“

ostpol: Was sind zurzeit die größten Probleme für Obdachlose in Ungarn?

Mariann Dosa: Die immer weiter fortschreitende Kriminalisierung von Obdachlosigkeit durch die Regierung. Das hat schon unter den vorherigen Regierungen angefangen. Die sogenannten „Sozialisten“ haben schon versucht, die Leute aus Unterführungen zu verscheuchen. Sie haben Streben auf Parkbänken einsetzen lassen, damit man sich nicht mehr darauf legen kann. Fidesz setzt diesen Kurs nun auf noch aggressivere Art fort. Zuerst haben sie ein Gesetz erlassen, das den Kommunen erlaubt, das Leben auf der Straße zu verbieten. Als unsere Organisation daraufhin Klage beim Verfassungsgericht eingereicht und Recht bekommen hat, hat Fidesz seine Zweidrittelmehrheit genutzt, um das Gesetz einfach in die Verfassung zu heben – ein Prozedere, das sie auch bei vielen anderen Gelegenheiten genutzt haben. Das ist wirklich schockierend. Noch schlimmer ist aber, dass die Regierung es schafft, ihre Gesetze und Verfassungsänderungen so zu formulieren, dass sie auf internationaler Ebene im Prinzip unangreifbar sind.

Wie meinst du das?

Dosa: Nun ja, das Gesetz für die Kommunen besagt nur, dass es ihnen erlaubt ist, das Leben auf der Straße zu „beschränken“. Das Wort „verbieten“ wird absichtlich nicht benutzt. Allerdings bedeutet das, dass die Kommunen theoretisch nur einen Quadratmeter der Stadt für die Obdachlosen übrig lassen könnten, und im Rest der Stadt das Leben auf der Straße „beschränken“. Trotzdem kann Orban bei der EU behaupten, dass es ja nicht verboten ist und das Gesetz deshalb mit den EU-Normen einhergeht. Er macht das sehr geschickt.

Was passiert denn mit einem Obdachlosen, der sich nicht an diese lokalen Gesetze hält?

Dosa: Da Obdachlose in der Regel kein Bußgeld bezahlen können, müssen sie Sozialstunden ableisten. Wenn sie das verweigern oder zwei Mal innerhalb von sechs Monaten aufgegriffen werden, müssten sie sogar ins Gefängnis.

„Dialog für Ungarn“, die Partei, in der du Mitglied bist, kämpft unter anderem für mehr soziale Gerechtigkeit im Land. Im Moment hat sie schon acht Sitze im Parlament. Wie hoch schätzt du die Chancen ein, dass die Opposition die nächste Wahl im kommenden Jahr gewinnt?

Dosa: Fidesz hat es geschafft, erhebliche Änderungen am Wahlrecht durchzusetzen, die es fast unmöglich für uns und die anderen Oppositionsparteien machen, Sitze im Parlament zu gewinnen. Hinzu kommt, dass die Medien fast alle von Fidesz kontrolliert werden und es deshalb sehr schwierig ist, unsere Botschaften bekannt zu machen. Meiner Meinung nach müssen die Oppositionsparteien zusammenarbeiten, wenn sie eine Chance haben wollen. Natürlich hat niemand von unserer Seite Lust darauf, mit den sogenannten „Sozialisten“ zu arbeiten, aber wir sind dazu gezwungen. Deshalb haben wir nun auch einen Kooperationsvertrag mit der Partei „Együtt 2014“ unterschrieben, der auch ehemalige Regierungsmitglieder angehören.


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