Ungarn

„Die Regierung will die Ungarn dumm halten“

ostpol: Die ungarische Regierung verpflichtet Studenten, die staatliches Bafög erhalten wollen, dass sie nach dem Studium in Ungarn bleiben müssen und nicht ins Ausland gehen dürfen. Du hast vor einem halben Jahr dein Studium begonnen. Hast du die Studentenerklärung unterschrieben?

Zsofia: Nein, ich habe mich entschieden, lieber selbst die Studiengebühren zu bezahlen. Das sind rund 200.000 Forint (ungefähr 680 Euro) pro Semester. Dafür musste ich einen Studentenkredit aufnehmen.

Die Zahl der Erstsemester hat deutlich abgenommen, seitdem die Studentenerklärung eingeführt wurde. Glaubst du, dass die Regierung nun erkennt, dass sie einen Fehler gemacht hat?

Zsofia: Nein, eigentlich glaube ich, dass genau das ihr Ziel war. Je weniger Leute eine gute Bildung bekommen, desto besser für sie. Sie wollen die Leute dumm halten. Deshalb haben sie auch viele juristische Fakultäten im Land geschlossen. Sie können einfach keine kritischen Juristen brauchen.


Die Studentenverträge

Wer in Ungarn einen Antrag auf staatliche Studentenförderung (in Deutschland: Bafög) stellt, muss unterschreiben, dass er in einem Zeitraum von 20 Jahren nach seinem Abschluss die Zahl seiner Studienjahre in einer Arbeitsstelle in Ungarn verbringt. Kassiert ein Student also zum Beispiel fünf Jahre lang staatliche Gelder, verpflichtet er sich, in einem Zeitraum von 20 Jahren nach dem Abschluss mindestens fünf Jahre in Ungarn zu arbeiten. Solche Verträge gibt es sonst auf dem europäischen Kontinent nur noch im autoritären Belarus. Die Einführung hatte Massenproteste unter Ungarns Studenten ausgelöst. Die Regierung will damit verhindern, dass junge, gut ausgebildete Menschen massenweise das Land verlassen.


Du bist schon seit einer Weile Mitglied bei Amnesty International. Was war der Grund für deinen Beitritt?

Zsofia: Ich wurde in einem sehr liberalen Umfeld erzogen. Mein Vater hat mich zum ersten Mal mit zur Gay Pride genommen, als ich sechs Jahre alt war. Ich wollte diese Einstellung, die ich zu Hause kennengelernt habe, nutzen, um unsere Gesellschaft ein bisschen besser zu machen. Ich finde, es ist eine Katastrophe, wie die meisten Ungarn über Roma und Juden denken. Sogar in meiner Generation, die eigentlich die weltoffene Zukunft des Landes sein sollte, nehmen immer mehr Leute radikale Denkweisen an.

Warum?

Zsofia: Im Gegensatz zu westeuropäischen Staaten gibt es bei uns keinen Politikunterricht in der Schule. Wir lernen nichts über die Bedeutung von Demokratie. Sogar an meinem ehemaligen Gymnasium, das einen sehr guten Ruf hat, gab es das nicht. Wenn man es nicht von den Eltern lernt, bekommt man also überhaupt keine politische Bildung. Das führt dazu, dass die Leute die rechtsradikale Jobbik-Partei wählen, weil der Name schließlich „Besser“ bedeutet. Mit den neuen Mediengesetzen ist es jetzt noch schwieriger geworden zu verstehen, was in unserem Land eigentlich passiert. Viele Ungarn sind auch sehr ignorant. Solange sie ihr kleines Einkommen haben und man sie persönlich in Ruhe lässt, sind sie zufrieden.

Warum haben die Roma so eine schwierige Stellung in der ungarischen Gesellschaft?

Zsofia: Viele Leute ärgern sich darüber, dass die Regierung angeblich so viel Geld für Hilfen für die Roma ausgibt und andere Dinge deshalb vernachlässigt. Tatsächlich sind es aber weniger als ein Prozent des Bruttoinlandprodukts, das an die Roma geht.

Was erwartest du von den Wahlen 2014?

Zsofia: Ich versuche, an das neu gegründete Oppositionsbündnis „Együtt 2014“ (zu glauben und unterstütze es, wie ich nur kann. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sie 2014 gewinnen werden. Vielleicht ändert sich etwas in 2018. Das geht aber nur, wenn wir neue Politiker bekommen. Wir brauchen definitiv neue Gesichter.

Hast du jemals darüber nachgedacht, das Land zu verlassen?

Zsofia: Wenn wir nach 2014 eine Fidesz-Jobbik Koalition haben, dann werde ich gehen. Ich will nicht in einem Land leben, das von Rechtsextremen regiert wird.


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