Normalisierung sieht anders aus
„Was zur Hölle haben die verhandelt“, empört sich Adrijana Hodzic. Die Gemeindeamtsleiterin im überwiegend von Serben bewohnten Nordkosovo ist wütend auf Brüssel. Und auf Belgrad. Denn eine Anleitung, wie das normale Zusammenleben in der geteilten Stadt Mitrovica ablaufen soll, hat ihr Brüssel nicht an die Hand gegeben. Vielmehr fühlen sich die Serben und Kosovaren gleichermaßen als Spielball zwischen der EU und der Regierung in Serbien, als Opfer eines Kompromisses, dessen Konsequenzen sie nicht kennen.
Der Status des Nordkosovo spielt die entscheidende Rolle in der Frage, ob Serbien in ein paar Jahren zur Europäischen Union gehören darf oder nicht. Die EU hat Serbien am Freitag grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen gegeben. Ab Januar 2014 sollen die Verhandlungen beginnen. Voraussetzung ist allerdings, dass Serbien den seit Jahren schwelenden Konflikt mit Kosovo löst. Kosovo hatte sich vor fünf Jahren als unabhängig erklärt, Serbien erkennt den Staat bis heute nicht an.
Die EU hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht
Im April unterzeichneten beide Regierungen in Belgrad und Prishtina auf Druck der EU bereits ein historisches Abkommen über die Normalisierung ihrer Beziehungen: Dazu soll der serbische Norden Kosovos in den albanischen Teil integriert werden. Im Gegenzug stellte Brüssel Serbien die Beitrittsverhandlungen und Kosovo ein Assoziierungsabkommen in Aussicht. Im Dezember will die EU kontrollieren, ob die beiden Regierungen Ernst machen mit ihrem Versprechen. Erst dann soll im Januar die erste Verhandlungsrunde zwischen EU und dem Balkanstaat beginnen. So lautet der Fahrplan, den Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgegeben hat.
Doch die Regierungen haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die serbische Bevölkerung im Norden erkennt den Kosovo nicht als ihren Staat an. Der Widerstand gegen die Umsetzung ist programmiert.
Viele Serben im Nordkosovo fühlen sich verraten
In Mitrovica, der in Serben und Albaner geteilten Stadt im Norden des Landes, versperren bis heute Barrikaden aus Beton und Steinen die Brücke über den Iber. Im Mai war der serbische Vizepremier Aleksandar Vucic nach Mitrovica gereist. In der technischen Fakultät der Universität stand er Vertretern der serbischen Gemeinde Rede und Antwort über das in Brüssel verhandelte Abkommen. Draußen rumorte es: Mehr als hundert Menschen versammelten sich und skandieren „Verrat“ und „Kosovo gehört uns“. In den umliegenden Cafes lief im Fernsehen die Live-Übertragung aus dem Inneren des Gebäudes. „Wir haben in der Vergangenheit unendlich viele Versuche unternommen, stärker als die Stärkeren zu sein, und uns selber zu zerstören, was uns gut gelungen ist“, sagte Vucic selbstkritisch. Deswegen habe man die Vereinbarung angenommen. Es sei besser, mit den Albanern zu verhandeln als Krieg zu führen, sagte Vucic.
Doch viele Serben im Nordkosovo fühlen sich von Belgrad verraten. „Vor kurzem waren der serbische Präsident Tomislav Nikolic und Aleksandar Vucic noch hier und haben gesagt, dass sie den Kosovo nicht hergeben werden. ‚So wahr uns Gott helfe’, haben sie gesagt. Sie haben gelogen“, sagt ein Student Anfang 20. Er will nicht zu einem Staat der Albaner, „Shiptari“ wie er sie abfällig nennt, gehören, für ihn gehört der Kosovo zu Serbien.
Viele fürchten Anarchie
Laut dem Abkommen soll die serbische Minderheit zwar ihre eigenen Vertreter bei der Polizei, Justiz und der Verwaltung bekommen. Dafür sollen jedoch bislang von Belgrad finanzierte Parallelstrukturen wie eigene serbische Schulen oder Gerichte wegfallen. In einem wirtschaftlich schwachen Land wie dem Kosovo ist die Angst um den Verlust der Bezüge groß, denn bislang bekommen die Serben sowohl von der serbischen als auch der kosovarischen Seite Gehälter. Zurzeit herrsche „organisierte Anarchie“ im Norden, analysiert die Gemeindeamtsleiterin Adrijana Hodzic. Sie ist zuständig für das Administrationsbüro in Nord-Mitrovica, das die Regierung in Prishtina eingeführt hat. Wenn Belgrad von heute auf morgen die Löhne streiche, werde vollends Anarchie ausbrechen, befürchtet sie.
Am meisten beschäftigt die Serben im Kosovo, wie sich das Abkommen auf ihren Alltag auswirken wird, sagt Aferdita Syla. Sie ist Leiterin des Community Centers Mitrovica im südlichen Teil der Stadt, in dem überwiegend Albaner leben. Sylas NGO schafft Netzwerke zwischen Serben und Albanern.
Belgrad finanzierte eine eigene Polizei im Nordkosovo
„Die Arbeit fängt jetzt an“, sagt die Gemeindeleiterin Adrijana Hodzic zum Brüsseler Abkommen. Die serbische Regierung habe nicht sofort begonnen, die Vereinbarung auch umzusetzen. So bekamen die Gegner die Gelegenheit, bei der Bevölkerung Stimmung dagegen zu machen.
„Die Menschen sind ein Opfer der falschen Politik“, sagt Gemeindeleiterin Adrijana Hodzic und gibt ein praktisches Beispiel: Ihr Büro stelle Geld für die Müllentsorgung zur Verfügung, doch ein serbisches Unternehmen nehme es nicht in Anspruch, weil die Serben nicht mit Albanern zusammenarbeiten wollten. „Wenn ich etwas in die Wege leite, wird es sabotiert“, erzählt sie. auf die Auf eine Häuserrenovierung, die das Gemeindeamt organisierte, folgte ein Bombenanschlag.
Die KFOR, die Kosovo-Truppe der Nato, ist deshalb immer noch in der Stadt präsent. Gleichzeitig patroulliert auch eine Art Bürgerwehr in den Straßen von Mitrovica. Sie unterhält an den Straßen im gesamten Norden Kontrollpunkte. Eingesetzt wird sie von den Bürgermeistern, bezahlt von Belgrad.