Litauen

Stolz auf sich, stolz auf Europa

Der Schal leuchtet in den Landesfarben Gelb, Grün und Rot. Auf dem T-Shirt prangt ein Siebdruck des mittelalterlichen Großfürsten Vytautas. Daneben hängt eine Tasche mit dem Länderkürzel „LT“: Kein Dresscode für Rechtsradikale, sondern ein Modetrend für betuchte Litauer. Das Label „LT-Identity“ aus Vilnius entwirft Alltagsmode mit patriotischen Symbolen und landestypische Trachten. Es zeigt damit das neue Selbstverständnis der größten Baltenrepublik. 

„Ich liebe mein Land und bin stolz darauf“, sagt Jolanta Rimkute, die in dem kleinen Verkaufsraum steht und einige Kleider hochhält. Zusammen mit einer Freundin gründete sie das Label vor zehn Jahren und führte es durch die Finanzkrise, in welche die Baltenrepublik in den Jahren 2008 und 2009 geriet.

Litauen übernimmt als erstes postsowjetisches Land am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Obwohl es nicht zur Euro-Zone gehört, sieht es sich als Vorbild für die südeuropäischen Krisenstaaten. Denn Litauen hat selbst vor vier Jahren eine schwere Wirtschaftskrise gemeistert: Um fast 14 Prozent schrumpfte die Wirtschaftsleistung im Jahr 2009, ein Jahr später lag die Arbeitslosigkeit bei fast 18 Prozent und setzte eine Auswanderungswelle in Gang. 


Radikale Reformen brachten Wachstum

Radikale Reformen, wie Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, brachten die junge Demokratie wieder auf Wachstumskurs. „Wir haben eine bittere Pille schlucken müssen, aber wir taten es zur richtigen Zeit“, sagt Petras Austrevicius, liberaler Parlamentsabgeordneter, der vor neun Jahren die Beitrittsverhandlungen zur EU führte. Jetzt sei Litauen in einer besseren Verfassung als vor der Krise, „das kann eine Lektion für alle Mitgliedstaaten sein.“

Litauen sieht sich aber auch als Brückenland zu den Anrainerstaaten östlich der EU-Außengrenze. „Wir kennen Belarus oder die Ukraine besser als die Westeuropäer“, sagt Palmira Krupenkaite, Journalistin bei der Tageszeitung „Lietuvos zinios“. Auf die Agenda des Ratsvorsitzes setzte Litauen neben der Arbeit an einer Europäischen Wirtschaftsregierung und dem EU-Finanzrahmen 2014-2020 deshalb auch eigene Schwerpunkte: Angesichts der Abhängigkeit vom russischen Gas das Thema Energiesicherheit und die Östliche Partnerschaft.

„Es geht um unsere Nachbarn, mit denen wir ein gutes Verhältnis haben wollen“, sagt Krupenkaite. Die Journalistin meint, die Ratspräsidentschaft werde das nordosteuropäische Land selbst mehr an Europa heranrücken. „Wir sprechen immer von „Europa und uns“. Vielleicht werden wir uns danach mehr als Europäer betrachten“, schmunzelt sie.


Mit 3.000 Veranstaltungen wird die Ratspräsidentschaft gefeiert

Ähnliche Erwartungen hat die Reiseführerin Jolanta Kostygin, die mit einer Touristengruppe vor dem Präsidentenpalast in Vilnius steht. Die Residenz von Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite wird im nächsten halben Jahr häufig im Fokus europäischer Medien stehen. Der Großteil der zum UNESO-Erbe gehörenden Altstadt ist – zum großen Teil aus EU-Geldern – herausgeputzt. Bis zuletzt wurden noch die Straßen erneuert und Fassaden saniert. Im nächsten halben Jahr stehen mehr als 3.000 Veranstaltungen, von Konsultationen auf höchster politischer Ebene bis zu Open-Air Konzerten, auf dem Programm. Kostygin hofft, „dass mehr Touristen kommen und uns als europäisches Land wahrnehmen.“

Erwartungen hegt auch Vytautas Leskevicius, Staatsekretär im Außenministerium. „Ein Staat wird erst als EU-Vollmitglied betrachtet, wenn er den Rat einmal führt“, sagt er. „Wir bereiten uns seit langer Zeit darauf vor.“ Vor zu vielen Erwartungen dagegen warnt Politikprofessor Ramunas Vilpidauskas. Nicht nur, weil das Land mit gerade drei Millionen Einwohnern und als Nicht-Euroland nur wenig Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft hat. Die EU-Ratspräsidentschaft sei nur in einem geringen Maße dazu da, die nationalen Bedürfnisse zu artikulieren.

Ob EU-Ratspräsidentschaft oder nicht, der Betrieb in dem kleinen Modelabel „LT-Identity“ im Szene-Bezirk Uzupis am Rand der Altstadt geht weiter. An große Sprünge glaubt Verkaufsmanager Rokas Jurkevicius allerdings nicht. Die Mode sei zu bunt, westliche Touristen würden lieber traditionelle Leinenkleidung kaufen. 


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