EU-müde in die Union
„Das einzig Gute ist, dass man vielleicht leichter Arbeit findet. Sonst sehen wir keine Änderung durch die EU.“ Die 18-jährige Petra spricht für sich und ihre Freundin Blanka. Die Schule gerade abgeschlossen, gehen die Zagreber Abiturientinnen nächstes Jahr auf die Uni. Über die EU informiert wurden sie in der Schule kaum. Draußen studieren kommt nur in Frage, „wenn auch andere aus der Clique gehen.“ Wenn sie Kroatien verlassen wollte, würde sie nach Österreich gehen, sagt Petra. „Nein, Frankreich“, entgegnet Blanka.
Die Tage bis zum Beitritt werden gezählt
Nach Ansicht vieler wird Kroatien vorläufig das letzte Land sein, das der erweiterungs- und wirtschaftsmüden EU beitritt. Obwohl Kroatien von der Europäischen Kommission grünes Licht bekam, hagelt es Kritik an der Beitrittsfähigkeit. Vor allem die kroatische Wirtschaft mit ihren 360.000 Arbeitslosen, der Auslandsverschuldung von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und dem vierten Rezessionsjahr in Folge bereitet den anderen EU-Mitgliedern Unbehagen.
Unbehaglich ist auch Frau Dorijana zumute. Gerade hat ihre Kundin, die sich von ihr Sardellen für fünf Kuna (knapp 0,70 Euro) abwiegen ließ, gesagt: „Die EU bringt Regeln. Es ist gut, wenn sich alle an die Regeln halten.“ Die Verkäuferin in der Fischhalle am Markt in Rovinj stimmt zu, ist jedoch nicht ganz überzeugt: „Ich habe keine gute Meinung von der EU. Ich habe 15 Jahre in der Schweiz gelebt und dort wurde der EU-Beitritt immer abgelehnt. Das sagt uns doch viel“, so die 48-Jährige. Mit der Schweiz hat das verschuldete Kroatien jedoch höchstens die Kredite in Schweizer Franken gemein. Das lässt die Fischhändlerin nicht gelten: „Wir sind von den politischen Eliten bestohlen worden. Würden wir nur die Hälfte davon zurückbekommen, wäre Kroatien schuldenfrei.“
43 Prozent Jugendarbeitslosigkeit – Platz 3 in der EU
Die Arbeitslosigkeit in Kroatien beträgt 15,9 Prozent, bei der Jugendarbeitslosigkeit wird Kroatien mit 43 Prozent in der EU den dritten Platz belegen. Obwohl eine Sozialstudie ergab, dass weniger kroatische Jugendliche ins Ausland wollen als in den 90er Jahren: Die Realität hinterlässt einen anderen Eindruck. Ein Stimmungsbild zeichnet etwa die Facebook-Gruppe mit dem Namen „Junge Leute, verlassen wir Kroatien“, die fast 59.000 Anhänger hat.
Tonino Picula, ehemaliger kroatischer Außenminister und ab 1. Juli EU-Parlamentarier in Brüssel, sagt: „Wir haben die Situation, dass junge Menschen tendenziell schlechter leben werden als ihre Eltern. Das ist seit dem Zweiten Weltkrieg nicht passiert. Diese Angst begründet einen Widerstand gegenüber der EU, weil die keine Garantie ist, dass es jede nachkommende Generation besser haben wird.“ Investitionen in Bildung seien der Ausweg der EU und Kroatiens aus der Krise, so Picula.
Investoren machen unterdessen oft einen weiten Bogen um Kroatien. Mit Problemen der Wirtschaftstreibenden ist etwa Roman Rauch, Delegierter der Wirtschaftskammer Österreich in Zagreb, täglich konfrontiert: „Es heißt nicht, dass gar nichts weitergegangen ist. Aber dort, wo die Probleme bestanden haben, vor allem auf lokaler Ebene, sei es in der Administration oder der Justiz - da hören und sehen wir sie weiterhin“, sagt er
Heißt im Klartext: Korruption ist weiterhin ein Übel in Kroatien – auch wenn Rauch das so nicht formulieren würde. Mit dem Rücktritt von Kroatiens Ex-Premier Ivo Sanader im Jahr 2009 begann erst der Kampf gegen die Korruption. Das erste prominente Opfer dieses Vorhabens war auch gleich der konservative Politiker selbst: Im November vergangenen Jahres wurde Sanader wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sanader war es allerdings auch, der Kroatien auf EU-Kurs brachte. Es war seine Regierung, die den wegen Kriegsverbrechen gesuchten Ex-General Ante Gotovina an das Tribunal in Den Haag auslieferte und damit 2005 die Beitrittsgespräche ermöglichte.
Mehrheit der Kroaten befürwortet grundsätzlich den Beitritt
Wegen der weitverbreiteten Korruption und der langsamen Verwaltung musste das 4,5 Millionen Einwohner zählende Land Vergleichen mit Rumänien und Bulgarien standhalten und die bislang längsten Beitrittsverhandlungen hinter sich bringen. Heute ist das Bild Kroatiens in der EU angeschlagen, was auch Premier Zoran Milanovic, dessen Mitte-Links-Regierung in Kroatien seit eineinhalb Jahren am Ruder ist, weiß. „In der EU werden wir sehr um unser Ansehen kämpfen müssen, das im Zuge der Ereignisse in den vergangenen Jahren schwer beschädigt wurde“, sagte er in einer Regierungssitzung im Juni. Man werde in der Welt leider noch immer als korruptes und rückständiges Land wahrgenommen.
Die Mehrheit der Kroaten hingegen befürwortet nach wie vor grundsätzlich den Beitritt. Laut einer Umfrage im Juni sind 61 Prozent dafür. Die Hälfte der Befragten fürchtet jedoch höhere Preise und fast genauso viele wollen kein Fest zum Beitritt, wie es am 30. Juni in Zagreb geplant ist – und zu dem auch Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel kommen soll. Kroatiens Außenministerin Vesna Pusic sagt dazu: „Die Kroaten haben ein realistisches Bild von der EU.“
Hoffnung macht Kroatiens Wirtschaft der Tourismus, der nach Einschätzung von Experten einen Aufschwung erfahren wird. Potenziell könnte das Land auch von den EU-Fonds profitieren, doch die bisher geringe Abschöpfungsquote von Fonds dürfte sich auch nach dem Beitritt fortsetzen. In der zweiten Jahreshälfte 2013 stehen dem Land zwar 655 Millionen Euro zur Verfügung. Klar ist jedoch, dass Kroatien 240 Millionen ins EU-Budget einzahlen wird müssen. Wenn die Befürchtungen eintreten, dass Kroatien nur etwa 300 Millionen Euro abschöpfen kann, schrammt es knapp am Attribut „Nettozahler“ vorbei.