Kroatien

Kroatisches Tagebuch: Digitales Zwicken

Als in den vergangenen Wochen deutsche Medien Kroatien mit kritischen Berichten zum kommenden EU-Beitritt überfluteten, fragten sich die Leute in Zagreb: Was ist bloß mit den Deutschen los? 

Bis vor wenigen Monaten krähte in der Bundesrepublik kein Hahn nach dem südosteuropäischen Land. Kroatien war bis dato für seine Kriegsverbrecher, korrupten Politiker und – angesichts des Einflusses der katholischen Kirche – vermeintliche Rückständigkeit bekannt. Angesichts des nahenden Beitritts werden noch weitere Mängel offenbar. Die Skepsis steigt. Kroatiens schlechte wirtschaftliche Lage, die hohe Arbeitslosigkeit und ein ideologischer Kampf, der die Gesellschaft teilt, sind keine gute Visitenkarte.

Lesen Sie hier ein Interview mit Marijana Miljkovic


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Aber wie immer gibt es auch eine andere Seite. Gerade bei etwas so Unauffälligem wie den Kommunalwahlen, die im Mai stattgefunden haben, zeigten sich Veränderungen: In Split gab es noch vor zwei Jahren Angriffe auf die Teilnehmer der damaligen Schwulenparade. Nun wurde dort ein neuer Bürgermeister gewählt, der bereits im Wahlkampf ankündigte, selbst auf den nächsten „Split Pride“ gehen zu wollen. Oder in Vukovar, wo der frisch gebackene Bürgermeister die Hinweisschilder der Stadt auch auf serbisch mit kyrillischen Buchstaben beschriften will – trotz massiven Widerstands der konservativen ehemaligen Regierungspartei HDZ. Diese hatte im Wahlkampf auf die nationalistische Karte gesetzt und wollte damit Serben und Kroaten gegeneinander ausspielen. 


Kroatiens Widersprüche

Über die Widersprüche in Kroatien wunderte sich auch ein Brite während einer Südosteuropa-Krisenkonferenz in Slowenien, an der ich vor kurzem teilnahm. Bei ihm habe sich nach 15 Jahren in Kroatien zwar bereits die Bürokratiekrake eingebrannt. Aber er sei begeistert über die Fähigkeit seiner neuen Landsleute, Fortschritte, insbesondere technischer Art, anzunehmen. 

Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Als in Westeuropa soziale Netzwerke noch Privatvergnügen waren, twitterten und facebookten kroatische Politiker schon um die Gunst ihrer Wähler, und die Medien verbreiteten ihre Nachrichten über soziale Kanäle. Auch im Alltag zeigt sich der Fortschritt: In Zagrebs Straßenbahnen funktionieren die Kartenverwerter längst digital, in Wien wird dagegen immer noch mechanisch gezwickt. Die Liste ließe sich fortsetzen, aber bei den Fahrkarten mache ich Halt. Denn wie kann ich den Fortschritt plausibel erklären, wenn die Bediensteten der kroatischen Staatsbahn am internationalen Schalter die Tickets nach wie vor per Hand ausfüllen? 


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