Die Leere nach dem EM-Fußballfest
Mikola Batyntschuk ist stolz auf seine Heimatstadt Lemberg. Im Zentrum schlendern Touristen über den sauber gepflasterten Freiheitsboulevard, Bürgerhäuser am Marktplatz künden vom Glanz der K.u.K.- Monarchie. Nur wenn der 23 Jahre alte Student an das Fußballstadion denkt, runzelt er die Stirn: Die für die Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr erbaute Lwiw-Arena vier Kilometer außerhalb der Stadt steht meistens leer. Zwanzig Minuten Fußmarsch sind es von der Bushaltestelle zum Stadion. Nicht einmal der Lemberger Fußballclub Karpaty nutzt das Prestigeobjekt mit 35.000 Plätzen, die Miete ist dem Verein zu hoch. Dabei zahlt die Stadt Lemberg jährlich zwei Millionen Euro für den Unterhalt des Stadions.
Vor einem Jahr feierten tausende Fans in Polen und der Ukraine ein ausgelassenes Fußballfest. Doch von der Euphorie ist wenig geblieben, im Gegenteil: Die Betreiber versuchen verzweifelt, die völlig überdimensionierten Stadien vollzubekommen. Wegen der überteuerten Mieten steht ein Großteil der Stadien die meiste Zeit leer, Kommunen und Steuerzahler bleiben auf horrenden Kosten sitzen.
Beispiel Posen: In der westpolnischen EM-Stadt weigerte sich der Fußballklub Lech zwei Jahre lang, die Miete für das aufwändig umgebaute Stadion zu überweisen. Erst jetzt unterzeichneten der Bürgermeister und der Klub einen Mietvertrag. „Die Stadt verlangte absurd viel Geld“, erklärt Robert Nowakowski vom Fanverein „Wiara Lecha“. „Der Klub dachte sogar daran, ein eigenes, günstigeres Stadion zu bauen.“ Nach monatelangen Verhandlungen annullierte die Stadt nun die Mietsschulden des Vereins und senkte die Miete von 750.000 auf umgerechnet 150.000 Euro im Jahr.
Massenveranstaltungen bleiben aus
Das Stadion war vor der EM für umgerechnet 147 Millionen Euro saniert worden. Die Fläche für geplante Hotels, Fitnessstudios und Läden steht bis heute leer, auch die erhofften Massenveranstaltungen wie Popkonzerte bleiben aus. „Im Gegensatz zu den anderen EM-Städten müssen wir wenigstens nicht von der Stadtkasse das Stadion finanzieren“, sagt der Oberbürgermeister von Posen Ryszard Grobelny. Denn der Fußballklub zahlt die Unterhaltskosten von rund zwei Millionen Euro im Jahr selbst. Und wenigstens sorgen die Lech-Anhänger dafür, dass die Arena mit 44.000 Plätzen bei den Spielen gut gefüllt ist.
Anders in Danzig oder Breslau, wo bei den Spielen nur wenige Tausend Zuschauer im Stadion sitzen. Breslau befindet sich in einer besonders schwierigen Situation: Das Stadion brachte der Stadt im vergangenen Jahr umgerechnet neun Millionen Euro Verluste. Fast vier Millionen Euro verlor die Stadt bei der Organisation von Massenveranstaltungen. Auch dieses Jahr schreibt der Betreiber rote Zahlen in Höhe von 4,5 Millionen Euro.
In Danzig hinterließ ein Betreiber der Stadt über 1,2 Millionen Schulden. „Das Stadion wird in drei Jahren rentabel“, hofft dennoch Vizebürgermeister Andrzej Bojanowski. Ab 2017 will auch Breslau am Stadion verdienen. Bis dahin sollen mehrere Hunderttausend Quadratmeter Fläche vermietet sein.
Vetternwirtschaft und Korruption ließen die Baukosten explodieren
Die ukrainischen Stadien sind zwar besser ausgelastet. Doch hier ließen Vetternwirtschaft und Korruption schon die Baukosten explodieren. In Lemberg beispielsweise schnellten die Kosten von ursprünglich 146 Millionen auf 231 Millionen Euro hoch, nachdem die ukrainische Firma Altcom den Auftrag übernommen hatte. Wer hinter Altcom steckt, ist bis heute unklar. „Man hätte lieber das schon existierende Ukraina-Stadion renovieren sollen“, meint Student Batyntschuk.
Auch das ebenfalls vom Altcom errichtete Kiewer Olympiastadion war mit 425 Millionen Euro am Ende teurer als die ähnlich große Münchner Allianz-Arena. Einziger Trost der Kiewer: Der Fußballclub Dynamo nutzt das 70.000-Plätze-Stadion für Ligaspiele. Die von Oligarch Rinat Achmetow 2009 gebaute Donbass-Arena in Donezk war schon vor der EM ausgelastet.
Rund zehn Milliarden Euro kostete die Fußball-EM der Ukraine, 80 Prozent der Ausgaben trägt der Steuerzahler. Politiker sollen damals Aufträge an handverlesene Firmen vergeben und so die Preise um 40 Prozent in die Höhe getrieben haben. „Drei Milliarden Euro wurden veruntreut“, sagt Ostap Semerak, der im Haushaltsausschuss des Parlaments das Budget überwachte. Ausgerechnet der Organisator der EM in der Ukraine, Boris Kolesnikow, soll an einer Firma beteiligt sein, die für sieben Millionen Euro den Sportpalast in Kiew renovierte.
Das Warschauer Skandalstadion
In Polen sorgt das 400 Millionen Euro teure und ausschließlich aus staatlichen Mitteln finanzierte Nationalstadion in Warschau für Skandale. Vor kurzem wurde bekannt, dass die Chefs des staatlichen Betreibers EURO 2012 Prämien für angebliche Erfolge einstreichen, obwohl das Stadion in diesem Jahr mit einem fünf Millionen Euro hohen Defizit rechnet. Von den 65 Luxuslogen fand nur eine einen Mieter. Dazu wirft die Oberste Kontrollkammer (NIK) dem Betreiber Unwirtschaftlichkeit bei der Organisation von großen Events vor. So brachte ein staatlich subventioniertes Madonna-Konzert im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Euro Verluste ein.
Der ukrainische Student Mikola Batyntschuk aus Lemberg ist im Nachhinein trotzdem froh über die Fußball-EM, „weil dafür die Stadt renoviert wurde.“ Manche Lemberger nutzen das Stadiongelände für andere Zwecke: Vor dem Konstrukt aus Glas und Beton üben Fahrschüler Autofahren – weil dort alles leer ist.