Polen

Im Würgegriff der Stahlmafia

Jörg von Weiler ist wütend. Das sieht man dem deutschen Stahlmanager an. „Die Mafia dürfte wohl aus fünf oder sechs Hintermännern bestehen, die den ganzen Markt kaputt machen“, schimpft er. Von einer drohenden Insolvenz seiner Firma Filigran spricht er zwar nicht, doch ihm ist anzumerken, wie groß der Druck ist, der auf ihm lastet.

Der deutsche Unternehmer kommt gerade von einer Konferenz, die die Vereinigung der polnischen Stahlhändler PUDS organisiert hat. Es geht um Umsatzsteuerbetrug, den polnische und ausländische Stahlunternehmen betreiben, um die Preise am Markt zu drücken und andere Unternehmen vom Markt zu drängen. „Wir haben dieses Treiben seit etwa 2007 beobachtet“, ärgert sich der Manager. Seine Firma ist seit Anfang der Neunziger Jahre in Polen und kennt den Markt aus dem Eff-Eff.


Die Methoden der Stahlmafia

Dabei sind nicht nur die Kleinen betroffen, sondern auch die internationalen Stahlgiganten. So musste die Huta Warszawa („Warschauer Hütte“), die zum weltgrößten Stahlkonzern ArcelorMittal gehört, zwischenzeitlich ihre Produktion drosseln. Es ist einer der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität, den es in der polnischen Wirtschaftsgeschichte nach der politischen Wende 1989 gegeben hat. Das staatliche polnische Fernsehen TVP spricht von einem „Betrug gigantischen Ausmaßes“.

„Die Verbrecher haben mehreren Varianten, wie sie das Finanzamt prellen“, erklärt von Weiler. In einem Fall gehe es um Export-Betrug. „Für eine Ausfuhr fällt nämlich keine Umsatzsteuer an. Die Verbrecher gründen in Tschechien oder Litauen eine Scheinfirma, auf die sie die Rechnung ausstellen“, schildert er die Methode.

Nach dem Schein-Deal wird dieses Unternehmen wieder dicht gemacht und verschwindet aus dem Register. „Die Ware bleibt aber tatsächlich im Land, wechselt gar nicht den Eigentümer und kann dann wesentlich kostengünstiger einem richtigen Interessenten angeboten werden“, so der Experte.
Ein Blick auf die Zahlen verrät das Ausmaß des Betrugs: Polen stellt pro Jahr bis zu acht Millionen Tonnen Stahl her und gehört damit zu den größten Herstellern in der EU. Der Gesamtwert des am Markt gehandelten Stahls liegt bei 4,4 Milliarden Euro. Davon wurde 2012 bis zur Hälfte schwarz erwirtschaftet, so inoffizielle Schätzungen. Besonders beunruhigend ist die Dynamik, mit der sich der Betrug ausweitet, vor zwölf Monaten lag die Quote noch bei 35 Prozent.


Zustände wie in Berlusconis Italien

Die enge Verflechtung der Stahlindustrie mit der Baubranche bewirkt, dass dadurch auch andere Wirtschaftszweige korrumpiert werden und ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden entsteht. Doch nicht nur das: Dem Fiskus gehen dadurch pro Jahr Unsummen verloren. Die Umsatzsteuer beträgt 23 Prozent, gehört zu den höchsten Sätzen in ganz Europa und ist deswegen eine wichtige Einnahmequelle des Staats.

Die Ausmaße sind nunmehr so gewaltig, dass die Regierung eilig ein Gesetzesprojekt ausgearbeitet und Anfang März vorgestellt hat. Von Weiler hält davon aber nicht viel: „Polen ist doch wie das Italien von Berlusconi – völlig korrupt“, ärgert er sich und nennt ein Beispiel.

„Ein Kunde von uns hat sich einmal beim Finanzamt über Korruption beschwert“, erklärt der deutsche Stahlmanager. Die Antwort der Beamtin sei verblüffend gewesen: „Wissen Sie, wir haben so viele Firmen, die können wir gar nicht alle kontrollieren“, so die Finanzangestellte. „Und unter uns: Ich persönlich habe auch schon einmal schwarz gehandelt.“


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