Polen

„Wir haben sie alle!“

Es ist der Albtraum eines jeden Bergmannes: Die Erde bebt, die Stollen rumoren. Schließlich brechen die Stützwände ein. Wer nicht verschüttet wird und erstickt, bleibt von der Außenwelt abgeschnitten – lebendig begraben.

In der Nacht zum Mittwoch wurde dieser Albtraum in der südwestpolnischen Kupfergrube „Rudna“ für 19 Kumpel Wirklichkeit. Doch der Horror in 1.000 Meter Tiefe verwandelte sich nach sieben Stunden des Bangen und Betens in ein hollywoodreifes Happyend. Als der Ruf „Wir haben sie alle!“ durch die Morgendämmerung hallte, brachen die Ehefrauen der Bergleute in Tränen der Freude aus. Sie hatten die Nacht über vor der Zeche im Städtchen Polkowice, 80 Kilometer östlich der deutsch-polnischen Grenze, ausgeharrt. „Was für ein Grauen und was für ein glückliches Ende!“, rief eine der Frauen schluchzend und fügte leise hinzu: „Sie leben.“


Die Nottelefone funktionierten nicht

Die Geretteten selbst wurden zunächst medizinisch und psychologisch betreut. Schwere Verletzungen hatte niemand davongetragen. Der Schock saß allerdings tief. „Überall war Staub und Rauch. Wir konnten fast nichts sehen. Das war das Schlimmste. Wir haben in dem Qualm die üblichen Rettungswege gesucht, aber alle Ausgänge waren durch Schutt blockiert“, berichtete ein Kumpel im Radio und fügte lapidar hinzu: „Wir haben dann einfach auf die Retter gewartet.“ Der Kontakt zur Außenwelt war nach dem Beben abgebrochen. Selbst die Nottelefone im Schacht funktionierten nicht.

Während sich die erleichterten Bergleute zu ihren Familien zurückzogen, wurden am Mittwoch immer mehr Details über den Hergang des Unglücks und der Rettungsaktion bekannt. Um 22.09 Uhr hatte am Dienstagabend in Niederschlesien die Erde gebebt und einen Schacht der Zeche „Rudna“ zum Einsturz gebracht. Selbst in den USA hätten Messgeräte die Erdstöße mit einer Stärke von 4,7 auf der Richterskala registriert, berichtete der Chef des Grubenbetreibers KGHM, Herbert Wirth. Über die verschütteten 19 Kumpel sagte Wirth: „Ich bin unendlich dankbar, dass sie ausgehalten und den Glauben an die Retter nicht verloren haben, die um ihr Leben kämpften.“


Die Helfer mussten teilweise mit bloßen Händen graben

Die nur 25 Helfer, die im Stollen Platz fanden, mussten teilweise ohne schweres Gerät auskommen. Mit Spaten, Spitzhacken und den bloßen Händen grabend, arbeiteten sich die zu den Eingeschlossenen vor. „Das war schon extrem“, sagte Grzegorz Wolak, der die Rettungsaktion leitete, und fügte hinzu: „Streckenweise mussten die Jungs auf dem Bauch durch eingebrochene Gänge kriechen.“ Zum Glück für alle Beteiligten gab es keine Nachbeben.

In den Jubel über das Happyend mischten sich allerdings auch nachdenkliche Töne. „Ist das Geld den Einsatz wirklich wert?“, fragte weinend die Frau eines Geretteten. Bergleute verdienen in Polen umgerechnet rund 1.200 Euro monatlich. Das sind 350 Euro mehr als der Durchschnittslohn. Allerdings gelten die oft veralteten polnischen Gruben als gefährlich. Hinzu kommen Erdstöße, die im schlesischen Bergbaurevier nicht selten sind. Erst vor knapp drei Jahren waren dort nach einem Beben fünf Kumpel ums Leben gekommen.


Weitere Artikel