Die schmutzigste Luft Europas
Am schlimmsten ist es, wenn kein Wind weht. Dann verschwimmen die historischen Fassaden von Krakau im Dunst. Ein beißender Geruch nach Kohle und Rauch kriecht durch die Nase bis in den Rachen. An solchen Tagen geht Andrzej Gula mit seinen Töchtern, sechs und vier Jahre alt, möglichst nicht aus dem Haus.
Theoretisch wären das fast 200 Tage im Jahr, denn so häufig liegen die Feinstaubwerte in Krakau über 20 Mikrogramm pro Kubikmeter. Ab dieser Grenze steigt laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Risiko für Atemwegserkrankungen wie Asthma. Die Europäische Union erlaubt einen Wert von 50 Mikrogramm. Den hatte Krakau nach Angaben der Europäischen Umweltagentur im Jahr 2010 genau 148 Mal. Ein trauriger Rekord. Der Preis dafür ist der erste Platz auf der Liste der meist verschmutzten Städte Europas.
Sie treffen sich in der Nichtraucher-Kneipe
Statt sich wie bisher in der Wohnung einzuschließen, geht Gula auf die Straße. Zusammen mit anderen Bürgern hat er im November 2012 die Bewegung „Krakau Smog-Alarm“ (KAS) gegründet. Über 11.500 Fans haben sie auf Facebook. Eigentlich ist Gula Ökonom und berät internationale Organisationen, mittlerweile ist er außerdem Experte für Schwermetalle und Feinstaub. Mit seinen Mitstreitern trifft er sich oft in der Kneipe Dym, übersetzt „Qualm“, nahe des Krakauer Marktplatzes. Raucher müssen hier vor die Tür.
Obwohl Gula Nichtraucher ist, zündet er sich sozusagen rund 3.300 Zigaretten am Tag an. Umgerechnet ist das die Menge an giftiger Luft, die jeder Krakauer täglich einatmet. Das Beispiel hat ein Chemieprofessor der Krakauer Universität erhoben, der ebenfalls bei KAS aktiv ist. Im Vergleich raucht der Berliner lediglich 125 Zigaretten am Tag, ein Londoner etwa 50.
Alles wird verheizt
Andrzej Gula sagt: „Wir haben hier in Krakau ein Riesenproblem.“ Gründe für die schlechte Luft in Krakau gibt es mehrere. Zum einen liegt die Stadt in einem Talkessel, Wind weht dort nur selten. Zum anderen heizen viele Bewohner der Stadt immer noch mit Kohleöfen. Laut Angaben der Verwaltung sind das etwa 17 Prozent der Haushalte. Kohle ist billiger als Zentralheizung oder Gas. „Aber das Problem ist, dass die Leute alles in den Ofen schmeißen, vor allem Müll“, sagt Gula.
Das Ziel der KAS ist, die Kohleöfen zu verbieten. Anfang des Jahres fand die erste Demonstration durch Krakau statt. Über 200 Menschen mit Atemmasken und Transparenten, Fahrrädern und Kinderwagen lärmten mit Trommeln und Pfeifen gegen den Gestank. Zum Beispiel Piotr. Der 35-jährige Krakauer hat Asthma. Sein Arzt rät ihm die Stadt zu verlassen, er will aber bleiben. Kasia nimmt ebenfalls an der Demonstration teil. Sie hat eine einjährige Tochter. „Die kann ich schlecht den ganzen Tag in unserer kleinen Wohnung einsperren.“
Sie demonstrieren mit Gasmasken
Mittlerweile gibt es einen Radiospot gegen Smog und eine Petition mit mehr als 10.000 Unterschriften. Besonders viel Aufsehen erregt die neueste Aktion der KAS. Von 80 Plakatwänden in der Stadt blicken Kinder, Erwachsene und Hunde mit Gasmasken auf die Passanten. Die Slogans in polnisch und englisch: „Wir wollen atmen“. Krakaus Stadtpräsident Jacek Majchrowski befürchtet, solch eine Aktion könne Touristen abschrecken. „Wenn wir damit werben, dass unsere Stadt die meist verschmutzte in Europa ist – dann verlieren wir alle“, schreibt er auf seinem Facebook-Profil.
Smog-Gegner Andrzej Gula hofft, dass die Politik nun endlich etwas unternimmt. „Seit Jahren passiert hier nichts“, sagt er. Die Stadtverwaltung hält dagegen, dass seit mindestens drei Jahren an dem Problem der Feinstaubbelastung gearbeitet werde. Regelmäßig würden Berichte veröffentlicht, das sei den Bürgern nicht genug, sagt Piotr Odorczuk, Pressesprecher der Regionalverwaltung Kleinpolens.
In Zukunft soll strikter kontrolliert werden, was die Leute in den Öfen verfeuern. Außerdem sollen Hausbesitzer finanziell unterstützt werden, die ihre Kohleöfen gegen umweltfreundlichere Anlagen eintauschen. Noch dieses Jahr sollen dafür rund 750.000 Euro investiert werden. Ob Gula den Gestank noch so lang aushalten kann, weiß er nicht. „Ich überlege tatsächlich, mit meiner Familie hier wegzuziehen.“