Ungarn

Abschied vom Rechtsstaat

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban musste sich schon einige Kritik anhören – so massiv wie vor der geplanten Verfassungsänderung war sie noch nie. Die Vorsitzenden von Europrat und Europaparlament äußerten ebenso Bedenken wie das US-amerikanische Außenministerium, zuletzt rief sogar der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bei Orban an und bat ihn, die Verfassungsänderung zu verschieben. Vergeblich: Man lasse sich vom Ausland keine Abstimmungstermine vorschreiben, verkündeten führende Fidesz-Politiker flapsig.

Und so soll am heutigen Montag wie geplant eine großangelegte Änderung der ungarischen Verfassung vom Parlament verabschiedet werden. Es ist bereits die vierte Verfassungsänderung binnen Jahresfrist – dabei trat Ungarns neue, ohnehin umstrittene Verfassung selbst erst im Januar 2012 in Kraft. Die geplante Änderung bewerten sowohl die demokratische Opposition in Ungarn als auch ungarische Rechtsexperten als Frontalangriff auf rechtsstaatliche Prinzipien und Bürgerrechte. Kein Geringerer als Ungarns ehemaliger Staatspräsident Laszlo Solyom, ein liberal-konservativer Jurist, der selbst auch einmal Vorsitzender des Verfassungsgerichtes war, spricht vom „Ende der Gewaltenteilung“ in Ungarn.


Verfassungsrichter am Gängelband

Damit unliebsame Einmischungen der höchsten Richter künftig nicht mehr vorkommen, soll das Verfassungsgericht Änderungen des Grundgesetzes künftig nur noch auf ihre formale, nicht auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen dürfen. Außerdem sollen sich die Richter in ihren Urteilen künftig nicht mehr auf Entscheidungen berufen können, die sie vor Inkrafttreten der neuen Verfassung im Januar 2012 getroffen haben. Als „juristische Vendetta“ bezeichnet der Budapester Verfassungsrechtler György Kollath das Vorhaben.

Eingeschränkt werden könnte in Ungarn künftig auch die Meinungsfreiheit, und zwar, wenn die nicht näher definierte „Würde der ungarischen Nation verletzt“ wird. Studenten sollen verpflichtet werden, nach ihrem Hochschulabschluss für eine bestimmte Zeit in Ungarn zu bleiben und zu arbeiten, andersfalls müssten sie Studiengebühren zahlen. So will die Regierung der Abwanderung der Fachkräfte und Akademiker entgegenwirken.

Auch mehrere zuvor für grundrechtswidrig erklärte Gesetze sollen nun in der Verfassung verankert und damit praktisch unangreifbar gemacht werden, darunter: das Aufenthaltsverbot für Obdachlose auf öffentlichen Flächen, das Verbot von Wahlkampfreklame in privaten Medien, das Recht des Generalstaatsanwaltes, vor einem von ihm ausgewählten Gericht Anklage zu erheben, sowie die Definition des Familienbegriffs als Ehe und Beziehung zwischen Kindern und Eltern, womit kinderlose Paare oder zusammenlebende Geschwister möglicherweise schlechter gestellt werden.


Auf Putins Spuren

Die demokratische Opposition in Ungarn erhebt angesichts der geplanten Verfassungsänderungen so schwere Vorwürfe wie bisher selten gegen die Orban-Regierung. Das außerparlamentarische Oppositionsbündnis „Zusammen 2014“ beispielsweise spricht in einer Erklärung von einem „Amoklauf gegen Verfassungsordnung“. Andras Schiffer, der Chef der grün-alternativen Partei „Politik kann anders sein“ (LMP) sieht die Verfassungsänderung als Beginn eines „autoritären Systems“. Auf einer Protestkundgebung am vergangenen Samstag, bei in Budapest rund 5.000 Menschen gegen die Verfassungsänderung demonstrierten, sprach der ehemalige Bürgerrechtler und prominente linke Philosoph Gaspar Miklos Tamas von einem “Irrsinnsvorhaben” der Regierungsmehrheit.

Auch der Budapester Verfassungsrechtler Gabor Halmai erhebt schwere Vorwürfe. „Mit dieser Verfassungsänderung wird Ungarn wird zu einer illiberalen Demokratie, ähnlich wie Putins Russland, ohne wirkliche Garantien der Verfassungsstaatlichkeit“, so Halmai.

Solche Kritik prallt an Viktor Orban und alle führenden Fidesz-Politikern schlichtweg ab. Auch am ungarischen Parlamentspräsidenten Laszlo Köver, einer der einflussreichsten Männer im Orban-Staat und altgedienter Führer der Regierungspartei Fidesz. Er wittert derzeit vielmehr eine antiungarische Weltverschwörung, wie er am vergangenen Freitag im rechtskonservativen Fernsehsender Hir TV erklärte. Die „auf das liberale Dogma gestützte Nachkriegsweltordnung“ sei „im Zusammenbruch begriffen“, so Köver. Die führenden Vertreter dieser Ordnung – das internationale Kapital, die EU und die USA – hätten Ungarn als „symbolischen Ort ihres kalten Krieges“ auserkoren, denn die Regierungskoalition habe eine „ernsthafte Abkehr“ vom „liberalen Zwangsweg“ herbeigeführt.


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