Empörung über Schengen-Ablehnung
Rumänien und Bulgarien drängen seit langem auf eine Mitgliedschaft in der Schengen-Zone. An diesem Donnerstag (7.3.) sollte der EU-Rat für Justiz und Inneres (JAI) darüber entscheiden. Doch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verkündete bereits vier Tage vorher – per Kurzinterview im „Spiegel“: Deutschland werde sein Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens einlegen. Die Gründe: Korruption und Armutsmigration in beiden Ländern.
Dass Rumänien und Bulgarien nicht in den Schengen-Raum aufgenommen werden würden, war Politikern und auch der Öffentlichkeit in beiden Ländern überwiegend klar. Doch dass der deutsche Innenminister die Angelegenheit per Interview regelte, sorgte für eine Welle der Empörung. Von einer „Schengen-Farce“ sprach die rumänische Zeitung „Ziarul de Bacau“: „Mal sind wir alle kriminelle Zigeuner, mal unsere Politiker korrupt, aber über ihre Pädophilen, die wir hier verhaften, und über die Drogenhändler in Rotterdam, Marseille und Hamburg kein Wort!“ In Bulgarien geißelte die Tageszeitung „24 Tschassa“ die „lawinenartige Kampagne“ gegen die „Horden“ von Rumänen und Bulgaren und kam zu dem Schluss: „Unsere Roma will Europa nicht, aber unsere Ärzte nehmen sie ohne weiteres.“
Eine Angelegenheit der nationalen Würde
Vor allem in Rumänien erklärten auch Regierungspolitiker den „Schengen-Skandal“ zu einer Angelegenheit der nationalen Würde. Der Schengen-Beitritt sei „keine Priorität mehr“ für Rumänien, ließ Regierungschef Victor Ponta wissen. Außenminister Titus Corlatean verkündete, man könne „auch ohne Schengen weiterleben“, und der Innenminister Radu Stroe polterte, sein deutscher Kollege habe „eine Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten“.
Beobachter können die Aufregung verstehen. Das Vorgehen des deutschen Innenministers sei „populistisch“, sagt der Bukarester Politologe Cristian Parvulescu. „Es geht nicht um Rumänien und Bulgarien, sondern um eine Ansprache an verunsicherte deutsche Wähler, in der Stereotypen über Rumänien und Bulgarien hervorgezogen werden“, so Pârvulescu. „Leider vertieft so ein Verhalten die europäische Krise noch.“ Der bulgarische Politologe Ognjan Mintschew konstatiert: „Was die Kriterien angeht, sind wir auf Schengen vorbereitet. Aber im Westen fürchtet man soziale Unruhen durch die so genannte Armutsmigration. Infolge eines politischen Kompromisses wurden wir einst in die EU aufgenommen. Jetzt werden wir infolge eines politischen Kompromisses aus der Schengen-Zone herausgehalten.“
Tatsächlich haben Rumänien und Bulgarien jeweils bis zu einer Milliarde Euro investiert, um ihre Außengrenzen Schengen-kompatibel zu machen. Offenbar mit Erfolg: Inzwischen gelangen weitaus mehr Flüchtlinge über das Schengen-Mitglied Griechenland in die EU als über Rumänien und Bulgarien, und auch als Drogentransitländer treten die beiden Staaten nicht stärker in Erscheinung als andere östliche EU-Mitglieder oder der Westbalkan.
Das bezweifeln selbst EU-Länder wie Deutschland oder die Niederlande nicht, die zu den schärfsten Gegnern eines Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien gehören. Sie argumentieren mit den eher weit auslegbaren politischen Kriterien, die einen Schengen-Beitritt an einen funktionierenden Rechtsstaat und eine wirksame Korruptionsbekämpfung knüpfen.
Sowohl Rumänien als auch Bulgarien haben in den so genannten EU-Fortschrittsberichten zur Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern in den letzten Monaten negative Bewertungen erhalten. Vor allem in Rumänien kritisierte die EU-Kommission die politische Einflussnahme auf die Justiz und die Behörden zur Bekämpfung der Korruption. Anders als einzelne EU-Mitgliedsstaaten unterstützt die Europäische Kommission dennoch einen konkreten Fahrplan für den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Doch darauf hat die Brüsseler Kommission keinen Einfluss – die Entscheidung trifft allein der JAI-Rat.
Populisten profitieren von der Stimmungsmache
Die Leidtragenden der Schengen-Blockade Rumäniens und Bulgariens sind in erster Linie Unternehmen – sowohl einheimische als auch ausländische, vor allem Spediteure oder exportabhängige Unternehmen, die an den EU-Grenzen, die nicht zum Schengen-Raum gehören, meistens lange Wartezeiten einkalkulieren müssen. Ob sich hingegen Armutsmigration mit einer Schengen-Blockade eindämmen lässt, bezweifeln Beobachter. „Drei Millionen Rumänien arbeiten im EU-Ausland, sie reisen einfach mit ihrem Personalausweis“, sagt der Politologe Cristian Parvulescu. „Und vergessen wir eines nicht: Bis auf wenige Ausnahmen tragen sie erheblich zum Bruttosozialprodukt ihrer Gastländer bei.“
Profiteure der Schengen-Blockade könnten hingegen antieuropäische Stimmungsmacher in Rumänien und Bulgarien sein. In Rumänien hat die regierende sozialliberale Union (USL) die Wahlen vom Dezember letzten Jahres auch mit antieuropäischer Rhetorik gewonnen, in Bulgarien hat dieselbe Rhetorik die jetzige Staatskrise mit ausgelöst. „Nominell sind wir EU-Mitglieder“, sagt der Politologe Ognjan Mintschew, „aber Angelegenheiten wie die Schengen-Blockade bewirken, dass sich unsere EU-Integration nicht vertieft, sondern wir in einer Grauzone bleiben und antieuropäische Kräfte bei uns an Einfluss gewinnen.“