Lettland

Europas Musterschüler bekommt den Euro

Hände maniküren und Haare frisieren: Im kleinen Salon von Inga Kraft und Astrida Fishere ist immer etwas los. In diesen Tagen drehen sich die Gespräche um die Politik. Die lettische Regierung will 2014 den Euro einführen, und das regt Kundinnen und Friseurinnen gleichermaßen auf. „Wir sind erst 22 Jahre unabhängig von der Sowjetunion und dem Rubel“, schimpft Inga. „Und schon wieder sollen wir uns von unserem lettischen Lats verabschieden. Er ist doch Teil unserer Identität.“ Ihre Kollegin Astrida nickt. „Alles wird dann teurer, und wir werden unsere Kunden verlieren.“

Schon vor drei Monaten hatte der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrowskis seinen Antrag auf den Beitritt zur Eurozone im kommenden Jahr unterschrieben. Auch die EU-Kommission befürwortete jetzt die Aufnahme. Lettland steht weit besser da als mancher anderer Euro-Staat: Der Schuldenstand etwa liegt bei 41 Prozent und damit deutlich unter den erlaubten 60 Prozent. Bereits seit 2003 ist die nationale Währung, der Lats, an den Euro gebunden. „Es wäre sinnlos, unseren Lats zu behalten. Wir sind einfach zu eng mit dem Euro und EU vernetzt“, erklärt Ministerpräsident Dombrowskis.


Lettland hat die Krise beispielhaft gemeistert

Unternehmen und Touristen würden vom Wegfall der teuren Wechselkurse profitieren, sagt Andris Strazds, leitender Volkswirt der Nordea Bank in Riga. Mehr als die Hälfte aller Unternehmen exportiere in Euro-Staaten und müsse hohe Gebühren für den Tausch von Lats in Euro und umgekehrt hinlegen. Eine wichtige Rolle spiele allerdings auch die Psychologie, sagt Strazds: „Wir sollten mit am Tisch sitzen, wenn über die Zukunft Europas entschieden wird. Und das wird, ob wir wollen oder nicht, der Tisch der Eurozone sein.“

Die Bevölkerung ist von diesen Vorteilen allerdings alles andere überzeugt. Zwar stimmten die Letten 2003 in einem Referendum nicht nur für die EU-Mitgliedschaft, sondern auch für die Gemeinschaftswährung. Seit 2004 ist das Land in der EU, seit dem vergangenen Herbst erfüllt das Land nun die Eurokriterien. Doch mehr als 61 Prozent der Bevölkerung lehnen die europäische Gemeinschaftswährung ab. „Der Euro wird uns Kopf und Kragen kosten“, schimpft ein Passant in der Hauptstadt Riga. Wie er denken viele Letten: Sie wollen nicht für die kriselnden Südeuropäer gerade stehen müssen. Denn ihr kleines Land hat selbst vor kurzem eine schwere Wirtschaftskrise überstanden, die Letten haben dafür viele Opfer gebracht.

2009 stand Lettland vor dem Staatsbankrott. Im Gegenzug für einen Kredit von über fünf Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds IWF und der EU-Kommission musste die Regierung einen strengen Sparkurs nachweisen. Während der Staat mit überfälligen Reformen seinen aufgeblähten Verwaltungsapparat verschlankte und die Gehälter im öffentlichen Dienst um rund 20 Prozent kürzte, sparten die Betriebe Energiekosten ein und drängten auf den westlichen Markt. Ende 2012 zahlte Lettland seinen Kredit vollständig zurück – drei Jahre früher als nötig. Der Euro soll jetzt das Vertrauen der Investoren in die lettische Wirtschaft weiter stärken.


Die Letten sind duldsamer als die Griechen oder Spanier

Nicht nur die Politik, auch die Industrie habe aus der Finanzkrise gelernt, sagt der Wirtschaftsexperte Aivars Timofejevs von der Niederlassung der Stockholm School of Economics in Riga. So stieg die Exportquote von 40 Prozent vor der Krise auf mittlerweile über 60 Prozent. In der Lebensmittelbranche seien einzelne Unternehmen zusammengegangen, um im Ausland stärker aufzutreten. „Sogar russische Unternehmer haben unsere stabile Wirtschaft entdeckt“, sagt er. „Trotz der strengen Bankenaufsicht investieren sie überall, von der Molkerei bis zum Möbelbau.“

Wer in Lettland ein Konto eröffnen will, muss nachweisen, aus welcher Quelle sein Geld stammt. Denn Lettland ist kein Steuerparadies. Tatsächlich habe es vor ein paar Monaten zahllose Anfragen von Kontoinhabern aus Zypern gegeben, ihr Geld nach Lettland zu transferieren, sagt Martins Bitans von der Lettischen Nationalbank. Allein, Geld waschen kann man in Lettland nicht. „Der Bankensektor wird bei uns sogar stärker kontrolliert, als in anderen EU Ländern“, sagt er. „Trotzdem beobachten wir sehr aufmerksam die Höhe der Bankeinlagen in unseren Geldhäusern, konnten aber keine hohen Geldtransfers aus Zypern feststellen.“

Doch der Aufschwung hat seinen Preis. Die Bruttolöhne in Lettland liegen mit durchschnittlich 633 Euro pro Kopf immer noch unter Vorkrisenniveau. „Wir jammern eben nicht so viel wie andere europäische Länder“, erklärt der junge IT-Experte Janis Gailis, weshalb die Letten nach vorne blicken und anders als die Griechen oder Spanier trotz der Einschränkungen nicht auf die Straße gegangen.

Ministerpräsident Valdis Dombrowskis hat versprochen, die Letten bis zum Sommer vom Euro zu überzeugen. Eine Euromünze im Design des lettischen Lats aus der Vorkriegszeit soll beispielsweise die Identifikation mit der Währung stärken.

Im Frisiersalon von Inga Kraft und Astrida Fishere werden soeben Locken geföhnt und Nägel lackiert. Wenn es nach den beiden Lettinnen geht, wird ihr Land die Prüfungen zur Einführung des Euro im Sommer nicht bestehen.


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