Ungarn und Rumänien im „Flaggenkrieg“
Offiziell wollten Ungarn und Rumänien das zehnjährige Bestehen ihrer strategischen Partnerschaft feiern. Doch in Wirklichkeit war es ein verbaler Stellungskrieg vor laufenden Kameras: Am Montag trafen in Bukarest der ungarische Außenminister Janos Martonyi und sein rumänischer Amtskollege Titus Corlatean zusammen, um über die tiefe Krise in den Beziehungen zwischen ihren Ländern zu sprechen.
Vor der Presse lobten die beiden Minister die enge bilaterale Zusammenarbeit – dann schoben sie sich, diplomatisch verklausuliert, gegenseitig die Schuld an der ungarisch-rumänischen Eiszeit zu. Einige Politiker, so Corlatean mit einem Fingerzeig auf Ungarn, behandelten die Partnerschaft beider Länder „oberflächlich“. Martonyi konterte, es sei, bei allen Differenzen, nicht Ungarn, das sein Nachbarland als „Feind“ ansehe.
Ein blau-gold-blaues Politikum
Seit einem Monat dauert die diplomatische Krise zwischen beiden Ländern nun schon – die ungarisch-rumänischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt. Der Auslöser des Konfliktes: Am 2. Februar hatte im mehrheitlich von Ungarn bewohnten rumänischen Landkreis Covasna ein neuer Präfekt sein Amt angetreten.
Bei der feierlichen Zeremonie in einem Gebäude der Stadt Sepsiszentgyörgy (rum. Sfantu Gheorghe) war die blau-gold-blaue Fahne des Szeklerlandes, wie die Region im Südosten Siebenbürgens heißt, aus dem Raum entfernt worden, da sie nach Auffassung rumänischer Behörden ein Symbol für die Bestrebungen der ungarischen Minderheit nach territorialer Autonomie und Abschaffung des rumänischen Nationalstaates darstellt. Kurz darauf hatte der Budapester Außenstaatssekretär Zsolt Nemeth von einer „symbolischen Aggression gegen die ungarische Gemeinschaft in Siebenbürgen“ gesprochen. Es war der Beginn des ungarisch-rumänischen „Flaggenkrieges“.
Konflikt mit historischer Brisanz
Zwischenzeitlich drohte Rumäniens Außenminister Corlatean an, den ungarischen Botschafter auszuweisen, einflussreiche nationalistische Medien entfachten eine Kampagne gegen die ungarische Minderheit und Ungarn. In Ungarn wiederum wurden an zahlreichen offiziellen Gebäuden, darunter am ungarischen Parlament, Szeklerfahnen aufgehängt.
Hinter dem „Flaggenkrieg“ steckt ein Konflikt mit historischer Brisanz. Als Teil Siebenbürgens gehörte das Szeklerland einst zum ungarischen Königreich. Im Friedensvertrag von Trianon 1920 wurde Siebenbürgen Rumänien zugesprochen. Die von Rumänien bereits 1918 zugesicherte Autonomie für die Minderheiten in Siebenbürgen kam jedoch nie zustande.
Seit dem Sturz der Ceausescu-Diktatur fordern die politischen Vertreter der anderthalb Millionen Ungarn in Siebenbürgen mehr administrative Eigenständigkeit im extrem zentralistisch organisierten Rumänien, vor allem für das mehrheitlich von Ungarn bewohnte Szeklerland. Radikale Minderheitenvertreter streben dabei eine Autonomie nach dem Modell von Südtirol oder Katalonien an, die Orban-Regierung unterstützt diese Forderung. In Rumänien jedoch ist das Thema Autonomie eines der größten nationalen Tabus – es wird gleichgesetzt mit Separatismus.
Versöhnung auf Eis gelegt
Eigentlich hatten sich die beiden Länder historisch ausgesöhnt - eine Vorbedingung des EU-Beitrittes. Im Zuge dessen gab es gemeinsame Regierungssitzungen, der gemäßigte Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien (RMDSZ) war insgesamt 16 Jahre lang an Koalitionsregierungen in Bukarest beteiligt. Doch seit einiger Zeit kühlt das Verhältnis ab. Die Budapester Orban-Regierung hat das Wahlrecht für Auslandsungarn eingeführt. Deren Stimmen braucht sie für die Wahlen im kommenden Frühjahr, denn unter einheimischen Wählern wird sie wegen der sozialen Kahlschlagspolitik zunehmend unpopulär.
Umgekehrt geht es auch der rumänischen Regierung darum, von ihrem Sparkurs abzulenken, vor allem aber will sie eine geplante Territorialreform mit nationalistischer Rethorik legitimieren. Im Zuge dieser Reform würden drei überwiegend ungarisch besiedelte Kreise in einen zentralrumänischen Großkreis eingegliedert werden - der ungarischen Minderheit gingen so viele Rechte verloren. Für den kommenden Sonntag haben in der siebenbürgischen Stadt Neumarkt (rum. Targu Mures, ung. Marosvasarhely) Vertreter der ungarischen Minderheit zu einer Großdemonstration gegen Verwaltungsreform und für ein autonomes Szeklerland aufgerufen.
Der ungarische Philosoph und Publizist Attila Ara-Kovacs sieht angesichts der politischen Konstellation in beiden Ländern vorerst keine Chance für einen ungarisch-rumänischen Ausgleich. „Die Lage ist sehr ernst, und sie ist die Konsequenz einer sträflichen, unverantwortlichen, aber gut durchdachten Absicht der Orban-Regierung, die bislang modellhaft guten Beziehungen zu den Nachbarländern kaputtzumachen“, sagt Ara-Kovacs. „Leider arbeitet auch die rumänische Ponta-Regierung daran, die bilateralen Beziehungen zu zerrütten, und sie hat dabei in Orban einen geeigneten Partner gefunden.“