Polen

Polens großer Sprung / zur Cebit

Im alten Warschauer Arbeiterstadtteil Praga steht eine Schmiede der besonderen Art. Zwischen Abbruchhäusern und verlassenen Industriebauten werden dort Ideen in Form gegossen. Das Softwarestudio CDProjekt hat in Praga mit „The Witcher“ eines der weltweit populärsten Fantasy-Computerspiele entwickelt. 2014 soll der dritte Teil auf den Markt kommen. Die Fans fiebern dem Start schon jetzt entgegen. Projekt-Chef Konrad Tomaszkiewicz erklärt: „Wir wollen einen neuen Typ Spiel schaffen.“

Etwas Neues schaffen: Diese Maxime passt bestens zum aufstrebenden Polen. Das einst als hinterwäldlerisch verschriene Land hat längst mehr zu bieten als Wodka und Steinkohle. Fast fünf Prozent der Wirtschaftsleistung werden inzwischen in Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) erarbeitet – Tendenz steigend. Und so ist es kaum ein Zufall, dass Polen 2013 Partnerland bei der IKT-Messe Cebit ist, die am Dienstag in Hannover ihre Tore öffnet.


Wirtschaftswunder aus Warschau-Praga

Präsentieren wird sich auf der Cebit ein junges und dynamisches Land. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung liegt in Polen in bei 38 Jahren (Deutschland: 44,5). Seit dem EU-Beitritt 2004 befindet sich die Wirtschaft mit Wachstumsraten zwischen 3,6 und 6,8 Prozent in einem Daueraufschwung. Selbst im weltweiten Rezessionsjahr 2009 erzielte Polen ein Plus – als einziges Land in Europa. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Auch dies zählt: Jeder zehnte Hochschulabsolvent in der EU kommt aus Polen.

Zu besichtigen ist das Wirtschaftswunder in Warschau-Praga. Die Ideenschmiede CDProjekt ist dort keineswegs das einzige IKT-Unternehmen. In dem Viertel, das einst als Hort von Kriminalität und Gewalt galt, tummeln sich heute Kreative aller Art. Bürogebäude, Ateliers und Lofts ersetzen zusehends jene Ruinen und Brachen, die noch immer von den Wunden des Weltkriegs zeugen. In der zentralen Targowa-Straße haben sich im „Creative Hub“ Grafiker, Fotografen und Multimedia-Spezialisten eingerichtet.

„Praga ist ein Brutkasten, in dem sich kleine und junge Firmen entwickeln können“, sagt Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz. Und Praga ist kein Einzelfall in Warschau. Großflächig entstehen moderne Büroviertel. Im Zentrum wächst mit dem Liebeskind-Tower Europas höchster Apartment-Wolkenkratzer in den Himmel. 7000 Euro soll dort ein Quadratmeter Wohnfläche kosten.


Attraktive Standorte für europäische Investoren

Warschau rast in die Zukunft. Doch auch andere Städte wie Posen, Krakau und Breslau ziehen mit. Polen als Ganzes belegt auf der Liste der attraktivsten Standorte für Direktinvestitionen in Europa hinter Deutschland Rang zwei. All das zeigt, welch großen Sprung in die Moderne Polen in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat. „Wir sind den stärksten Volkswirtschaften Europas auf den Fersen“, sagt Ministerpräsident Donald Tusk, der sich am Montagabend zu einem ersten Cebit-Rundgang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft.

Doch wo viel Licht ist, fallen auch Schatten. Manches spricht dafür, dass Polen den Zenit seines kraftvollen Aufstiegs überschritten haben könnte. Die Arbeitslosenquote, die zwischen 2003 und 2008 von 20 auf weniger als sieben Prozent rasant gesunken war, hat sich gegen Ende des Winters 2013 wieder auf 14 Prozent verdoppelt. Grund sind die vielen Kurzzeitverträge vor allem in der Bauwirtschaft, die schnelle Entlassungen ermöglichen. Es ist die Kehrseite der viel gerühmten polnischen Flexibilität. Gelingt es nicht, gegenzusteuern, könnte sich Polen schlimmstenfalls in die Krise siegen.


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